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aus den Armen seiner Geliebten führt, die letztere ihrem Bruder zurückläßt oder seinen
Kameraden gönnt. Die Klage des Volksliedes fällt häufig noch in die Zeit vor Einführung
der Conscription: „In Jieln werben sie, sie pfeifen und trommeln" :e., wobei der Hand-
schlag und das Handgeld ihre Rolle spielen. Eigenthümlich ist das häufige Vorkommen
der Husaren, selbst der „kleinen Husaren", was wohl aus slovakischen Ursprung hinweist,
da es in Böhmen nur Kürassiere und Dragoner gab.
Von der anderen Seite das ehemalige Unterthänigkeitsverhältniß. Da ist das
herrschaftliche Schloß, der herrschaftliche Garten, der herrschaftliche Meierhof (panskH
ävür) mit seinem „Schaffer" (salar) und seinen Schaffersleuten. Da ist der-herrschaft-
liche Wald und der herrschaftliche Jäger, der in seinem „grünen Kleid" —
2elenä — mit seinen Hirschen und Rehen im Volkslied so oft wiederkehrt: „Grünes
Jägerlein, was lauft dort querfeldein? Es lauft, es laust ein Rehelein, ein schwarzäugig
Mägdelein — schieß nach ihm!" Oder: „Warte auf mich, Liebchen mein! Einen Hirschen
schieß ich dir, daß mein grünes Röckelein mög' gefallen dir." Da ist der „gnädige Herr",
^kavalir"/ der im Wagen „mit goldener Deichsel" und „silberner Spreizstange" fährt
und den Rosse „mit goldenen Hufeisen" ziehen, „vorn ein Lakai, hinten ein Lakai." Da
ist der Amtsschreiber, der berüchtigte »pan er trägt ein „verbrämtes Kleid", ein
„bortirtes Hütchen wie irgend ein Kaiser" — „klodoueek premovank^j näkH
cisiu". Da ist die herrschaftliche Kanzlei („kaneelär"), in welche der Bauer citirt wird;
in der er seine Klagen vorbringt; in der die Brautleute erscheinen müssen um ihrer
Verkündigung willen — spolu na kaneelät pro okIüZku" —. Da sind die
schweren Steuern, die „Contribntion", die harte, harte Robot und der böse ,6rüb", der
Amtsdiener mit der Bank und dem Stock aus der ungebrannten Asche der Haselstaude,
der widerspänstigen Unterthanen die zehn Gebote in empfindliche Erinnerung bringt.
Das sind, wie man sieht, lauter Verhältnisse, die heute nicht mehr bestehen oder
sich wesentlich geändert haben, und darum ist das Volkslied des vorigen und auch noch
der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts vielfach ein Anachronismus, der sich in dieser
Form kaum lang halten könnte. Es haben noch andere Ursachen zusammengewirkt, das
böhmische Volkslied und damit auch den Volkstanz um die Stellung zu bringen, die
sie in dem Geistes- und Gefühlsleben der Nation früher behauptet haben. Einestheils
sind es das konstitutionelle Leben, darunter eben auch die Aufhebung der Robot, und die
gewaltige Entwicklung der modernen böhmischen Literatur, die den Sinn und die Ziele
des Volkes nach ganz anderen Richtungen in Anspruch nehmen; anderseits entwickelt
sich das Verkehrsleben von Tag zu Tag rascher, namentlich durch die Eisenbahnen,
l Das dem Französischen entlehnte Wort entstammt der Zeit, wo ja bekanntlich auf Edelsitzen und im Salon jene elegante
Sprache vorherrschte.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (1), Volume 14
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Böhmen (1)
- Volume
- 14
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1894
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.78 x 21.93 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch