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fortan unter geistlicher Aufsicht, und da es allmälig Sitte geworden war, jeden schlichten
Bürger, sofern er nur uubescholteu und des Singens kundig war, aufzunehmen, sank
allerdings das gesellschaftliche nnd Bildungsniveau ihrer Mitgliedschaft. Der eouservative
Charakter dieser Vereine brachte es mit sich, daß sie in althergebrachter Weise auch dort
uoch böhmisch sangen, wo im Lause der Zeit sich die nationalen Verhältnisse derartig
umgewandelt hatten, daß das deutsche Element in der Bürgerschaft nnd daher auch unter
deu Mitgliedern selbst entschieden überwog. So hat znm Beispiel der Literatenchor von
Prachatitz, einer jetzt vorherrschend deutschen Stadt, bis in unsere Tage den traditionellen
böhmischen Gesaug festgehalten. Dieser Chor, dessen gottesdienstliche Function ein 1604
gestiftetes Bild aus der Prachatitzer Decauallirche in interessanter Weise veranschaulicht,
ist übrigens heute der einzige noch übrige Repräsentant des einst so blühenden Literaten-
thums. Denn unter Kaiser Josef II. wurden 1785 sämmtliche noch bestehende (über 100)
Literatenchöre aufgelöst und ihr nicht unbedeutendes Vermögen dem Neligionssonde, sowie
wohlthätigen und Schulzwecken zugeführt, und als eiuige Zeit nachher mehrcre dieser
Vereine zu neuem Lebeu erweckt wurden, besaß, mit einziger Ausnahme des Prachatitzer
Chors, keiner von ihnen Lebenskraft genug, um vou neuem für die Dauer feste Wurzeln
zu schlagen. — Auf deu erste» Blick scheinen die Literatenchöre Böhmens den deutschen
Meistersingern zu entsprechen, doch beschränkt sich bei näherer Betrachtung die ganze
Ähnlichkeit aus die aus dem mittelalterlichen Zunftwesen hervorgegangene Organisation
des Bürgerthums zu musikalischen Zwecken. Die böhmischen Literaten oblagen aus-
schließlich der Pflege des kirchlichen Gesanges und waren im Verein mir als ausübende
Mnsiker thätig, verlegten sich also weder auf weltliche Kunst, noch ans Dichten und
Compouireu, daher auch die manuigsaltigeu unter den Mitgliedern der Meistersinger-
zünfte bestehenden Gradunterschiede bei ihnen entfielen.
Kehren wir in das XVI. Jahrhundert zurück. Da seit Ferdinands I. Königswahl
(1527) die Kaiser größteutheils iu Prag residirten, Rudolf II. sogar seinen ständigen Sitz
hier hatte, so konnte natürlich die Hofkapelle nicht ohne Wirkung ans die musikalischen
Verhältnisse in Böhmen bleiben, wenn auch der kirchliche Volksgesaug seine eigenen Wege
ging. Die kaiserliche Hofkapelle war damals noch ein zunächst sür den katholischen
Gottesdienst bestimmter Vocalkörper, und zwar eiu vorwiegend aus Niederländern
bestehender, unter denen sich gar manche klangvolle Namen finden, wie die Kapell-
meister Arnold von Prughk, Philippus de Monte und Jakob Regnart, denen noch die
Organisten Jakobus Buns nud Karl Luytou (der letztere ein Engländer) angereiht
werden mögen. Znr Zeit Rudolfs II. war überdies die Hauptstadt Böhmens ein
Anziehungspunkt auch für solche berühmte Musiker, die nicht der kaiserlichen Hofkapelle
angehörten; so kam z. B. derKrainer Jakobns Ga l lus (Handel) von Olmütz, wo er iu
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Volume 15
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Böhmen (2)
- Volume
- 15
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1896
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.07 x 22.35 cm
- Pages
- 708
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch