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diese Literatur nicht. Ihr werthvoller und zum großen Theile unerreichbarer Vorzug ist der
glänzende Reichthum der Sprache, namentlich was Formen, Kernigkeit nnd Elasticität
betrifft. Werke, die nach Form und Inhalt bedeutend wären, gibt es darunter nur wenige.
In den poetischen Produkten erlag den im Westen herrschenden Neuerungen vor
Allem die äußere Form; es wurde der Reim eingeführt. Schon die ersten erhaltenen
Denkmäler zeigen hierin eine ungewöhnliche Reife, so daß man eine ziemlich frühe und
intensive Pflege voraussetze» muß. Der Strophenbau und andere formelle Eigenthümlich'
keiten fanden gewiß ihre Vorgänger schon in der alten einheimischen Poesie und konnten
daher ohne Schwierigkeiten festen Fnß fassen. Hinsichtlich des Stoffes ist das weltliche
Element anfänglich ganz in den Hintergrund getreten; die Prodnetion war ja ausschließlich
iu deu Häudeu der Geistlichkeit, und wenn auch andere Schichten irgend welchen Antheil
daran hatten, so standen auch sie unter dem Einfluß der religiösen Richtung ihrer Zeit.
Die in dieseni Geiste erzogenen Generationen suchen sehnsuchtsvoll die Welt der Wuuder,
Abenteuer, der Romautismus kommt in Fluß und findet infolge des Beispiels, das die
einheimischen Herrscher (namentlich Wenzel I., Premysl Ottakar II. und Johann von
Luxemburg) uud auch einzelne böhmische Magnaten gaben, weite Verbreitung; doch ziemlich
frühzeitig lenkt die Richtung zur Aseese ein, das wirkliche Verdienst wird im Kampfe der
Seele gegen die leibliche Welt, in der Selbstverleugnung und Demuth gesucht, bis schließlich
die Phantasie einer moralischen Reflexion zu weichen beginnt, die reale Anschauung der
bloßen Abstraktion, womit die Poesie zum großen Theile in eine unfruchtbare und leere
Versmacherei übergeht. Der Grundbau selbst Pflegt selten ursprünglich zu sein, in der
älteren Zeit refnltirt er aus lateinischen, in der späteren sehr häufig aus deutscheu Quellen.
Auf dem Gebiete der weltlichen Poesie ist am schwächsten die lyrische vertreten.
Während in Frankreich und in Deutschland vom XII. Jahrhundert an die Lyrik im
Sonnenschein der Gunst der Höfe und Magnaten in üppigen Formen sich entfaltet, kann die
nationale Lyrik in Böhmen nicht gedeihen, da die Vorliebe zu dieser Form der Dichtkunst,
wo immer sie sich in den höheren Kreisen zeigt, nicht die Unterstützung der einheimischen,
sondern fast ausschließlich nur der fremden Poesie mit sich bringt, wie dies von der Zeit
Wenzels I. und Premysl Ottakars II. bekauut ist. Erst uach der Gründung der Universität
in Prag (1348) hat das nen entstandene bewegliche Studentenelement eine Veränderung
hervorgerufen, da es hauptsächlich die künstliche Lyrik verbreitete. Zahlreiche und bunte
Proben dieser Thätigkeit haben sich in Abschriften aus dem XV. Jahrhundert erhalten;
ihr Werth ist ungleich und die Form abendländischen Mustern nachgeahmt. Ein besonders
wichtiges Zeichen ist bei manchen der halb künstliche, halb volksthümliche Zug.
Ein viel günstigeres Geschick ward in Böhmen der auswärtigen epischen Dichtung
zutheil. Ihre romautische Richtung gab den ersten Pflegern in geistlichen Kreisen die
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Volume 15
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Böhmen (2)
- Volume
- 15
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1896
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.07 x 22.35 cm
- Pages
- 708
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch