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erwünschte Gelegenheit, christliche Vorbilder und Tugenden zu verherrlichen, und kam
bei den weltlichen Zeitgenossen der Vorliebe für alles Abenteuerliche entgegen. Diese
allgemeine Beliebtheit trug nicht wenig zur Vervollkommnung der äußeren Form und
zugleich auch zu einer großen Mannigfaltigkeit des Inhalts bei, denn neben zahlreichen
und umfangreichen geistlichen Dichtungen gibt es auch eine Reihe weltlicher romantischer
Gedichte, in denen fremde, antike, deutsche, bretonische Stoffe bearbeitet sind.
Unter den weltlichen Denkmälern müssen wir, wasZeit und Bedeutung anlangt, das
epische Gedicht über Alexander den Großen — die Alexandreis — an die Spitze stellen.
Sie ist nur bruchstückweise erhalten, in sieben Fragmenten, etwa die Hälfte des einstigen
Ganzen, die ihrem Ursprung nach etwa in das letzte Viertel des XIII. Jahrhunderts
gehören. Die Handlung beruht im Wesentlichen auf der lateinischen Alexandreis des
Gnalther Castillianns (XII. Jahrhundert), aber zahlreiche Einschiebsel und Erweiterungen
beweisen, daß der Verfasser auch audere Quellen, nach denen er entweder gleich sein
ursprüngliches Concept erweiterte oder, was wahrscheinlicher ist, das fertige Gedicht
später ergänzte, zur Hand hatte. Von besonderer Begabung zeugt nicht blos der voll-
kommene Vers und untadelige Reim, sondern auch der Reichthum der Sprache und die
besondere Art, wie der Dichter seine Lebenserfahrung in Worte zu kleiden weiß.
Neben der Alexandreis hat sich sonst aus dem antiken Sagenkreise kein in Versen
verfaßtes Prodnct erhalten, obgleich die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, daß es einst
mehrere solche Gedichte gegeben hat, wie z. B. von dem trojanischen Kriege. Daß diese
Annahme berechtigt, beweisen die unlängst gemachten Funde umfangreicher erzählender
Gedichte aus dem Gebiete der deutschen Sage , deren poetische Bearbeitung in der
böhmischen Literatur geradezu bezweifelt wurde, und doch zeigt es sich, daß gerade in
dieser Richtung der Romantismus iu Böhmen sich üppig entfaltete. So wurden im
Jahre 1881 Fragmente des „großen Rosengartens", im Jahre 1887 der vollständige
„Lanrin" und zugleich auch „Erust" (^rnost) gefunden; es sind dies Bearbeitungen
bekannter deutscher Originale und zwar, wie es scheint, »niederholte Bearbeitungen, welche
in ihrer ursprünglichen Form in Böhmen vielleicht schon im Anfang des XIV. Jahr-
hunderts circnlirten. Der Hauptwerth dieser Gedichte beruht in ihrer literarisch-historischen
Bedeutung, der Technik und dem stilistischen Werthe nach stehen sie viel tiefer als die
Alexaudreis.
Dasselbe gilt auch von zwei anderen Gedichten aus dem Sagencyklns von Artus
und seiner Tafelrunde, nämlich von Tristram uud Tandar ias . Tristram, das umfang-
reichste altböhmische epische Gedicht (beinahe 9000 Verse), ist aus zwei wesentlich ver-
schiedenen Theilen zu einem Ganzen vereinigt worden; der erste davon rührt etwa aus der
Mitte des XIV. Jahrhunderts her und entstand aus der mangelhaften Übersetzung eines
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Volume 15
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Böhmen (2)
- Volume
- 15
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1896
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.07 x 22.35 cm
- Pages
- 708
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch