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erhalten ist, verfaßt, doch der Verfasser hatte wenig Talent, so daß er eher ein Conglomerat
mannigfaltiger Nachrichten über den Patron und Beschützer des Landes als ein dichterisches
Werk lieferte. Am eifrigsten wurde die Legende unter dem Kaiser Karl IV. gepflegt, der
den Cultus der Heiligen mit Begeisterung förderte; damals ist neben anderen ohne Zweifel
anch die größte und bedeutendste böhmische Legende, jene von der heiligen Kathar ina
entstanden; sie heißt „die Stockholmer Legende" nach ihrem Fundorte, wohin sie zur Zeit
des dreißigjährigen Krieges mit vielen anderen Büchern und Handschriften verschleppt
worden war. Sie ragt durch schöne, blumenreiche Sprache uud stilistische Fertigkeit hervor,
dagegen fehlt es ihr an poetischer Wärme. Den meisten anderen Producten der geistlichen
Poesie kommt nur eine kulturelle uud sprachliche Bedeutung zu, ihr poetischer Werth ist
nicht erheblich.
Mit der geistlichen Poesie sind auch die dramatischen Erstlinge, nämlich jene
Texte, die ursprünglich bei jährlich wiederkehrenden Festen, namentlich zu Ostern, lateinisch
gesungen nnd recitirt wurden, innigst verbunden. Derartige Proben finden sich in böhmischer
Übersetzung schon zn Anfang des XIV. Jahrhunderts vor; ihnen folgen bald längere
Texte, die uach der allgemein herrschenden Sitte der größeren Mannigfaltigkeit halber
dnrch weltliche Elemente erweitert wurden und allmälig den Charakter wirklicher Spiele
annahmen; es entstehe» Einschiebsel, ja ganze Scenen mit profanem Text, vor denen
der eigentliche religiöse Zweck ganz in den Hintergrund tritt. Ein charakteristisches Denkmal
dieser Richtung ist die Episode aus einem Osterspiel ,Uastieküt" (Der Quacksalber), iu
welcher Meister Severin, ein Salbenverkäufer, mit seinen Gehilfen Rubin und Pusterpalk
ausgelassene Possen und Gaukeleien treibt. Von Passionsspielen, die namentlich in Deutsch-
land seit jeher beliebt waren, haben sich nur unbedeutende Bruchstücke erhalten.
Auch der erzählenden Prosa bemächtigte sich der romantische Geist nicht weniger
wie der weltlichen uud geistlichen Epik, ja man kann sagen, daß namentlich in dieser
literarischen Gruppe die zügellose Phantasie am meisten zur Schau tritt. Der trojanische
Krieg des Guido von Coluimia und das Leben Alexander des Großen von Pseudo-
Kallisthenes, die Geschichte des Apol louius von Tyrns , Stilfrid und Bruucvik
uud andere bezaubern den naiven Sinn und stellen ein wahrhaftes Märchenlabyrinth
dar. Auch die sonderbare Form eristischer Anseinandersetzuugeu, in welchen die morali-
sirende allegorische Poesie mit Vorliebe sich bewegte, fand Nachahmung im „Tkadlecek"
(der Weber) oder im „Streite zwischen dem Liebenden uud dem Unglück wegen des
Verlustes der Geliebten."
Auf dem geistlichen Gebiete wird die Wunderwelt nicht weniger gepflegt; so in
dem berühmten Roman von Bar laam und Josafa t , in den biblischen Erzählungen
Avvl ^clamüv (Adams Leben), '/ivot ^osetüv und seiner Gemalin „Asseneth",
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Volume 15
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Böhmen (2)
- Volume
- 15
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1896
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.07 x 22.35 cm
- Pages
- 708
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch