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geistige Thätigkeit vor Allem die literarische Wiederbelebung als die Grundlage und Quelle
patriotischer Gesinnung im Auge;-von da an ändert sich allmülig die Richtung, denn die
Literatur überläßt es anderen, hauptsächlich politischen Factoren, das Volk aufzuwecken:
sie selbst betritt eine breitere Basis des Kunst- und Bildungsstrebens.
Der traurige Zustand, in welchem sich die Literatur und mit ihr zugleich die böhmische
Nationalität nach dem dreißigjährigen Kriege befand, erreichte den Gipfelpunkt im
letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts, nachdem die Reform der bestehenden Verhältnisse
das Losungswort der europäischen Intelligenz geworden war. Unter den deutschen
Landesgenossen, die mit Stolz auf den großartigen Aufschwung der geistigen Thätigkeit
in den Reichsländern blickten, machte sich schon lange eine erfreuliche Culturbewegung
bemerkbar und führte nicht unbedeutende Erfolge herbei, namentlich als mit der Aufhebung
des Jesuitenordens (1773) die wichtigste Stütze der internationalen lateinischen Sprache
gefallen war, und noch mehr, als (1774) die Volksschulen (Normal-, Haupt- und
Trivialschulen) auf einer neuen Grundlage ins Leben gerufen und der deutschen Sprache
zugesprochen wurden; im böhmischen Volke dagegen sah man beinahe keine Spur von
irgend welchem Fortschritt, denn die Kraft beruhte da ausschließlich auf der unbeweglichen
Masse der Landbevölkerung, welche von den modernen Strömungen der Cultur uur
äußerlich und unzulänglich berührt wurde. Die wohlhabenderen und überhaupt die
intelligenten Kreise ergaben sich bereitwillig der Entnationalisirnng, weil sie dadurch
materielle Vortheile und einen merklichen Vorrang in der Gesellschaft erlangten; es verblieb
schließlich nur die niedere Geistlichkeit, welche, soweit sie mit dem gemeinen Volke in
Berührung kam, noch augenscheinlich das böhmische Element auf dem Gebiete des höheren
Vorstellungslebens direct förderte.
Dennoch kann man nicht sagen, daß die Intelligenz unter der böhmischen Bevölkerung
verschwunden wäre, nur äußerte sich dieselbe blos ihrem Charakter, ihrem patriotischen
Geist nach, nicht aber in der Volkssprache. Letzteres wäre auch fast unmöglich gewesen, da
die böhmische Sprache dermaßen vernachlässigt und durch unberufene Reformatoren nach
Art eines Rosa und Pohl so verunstaltet war, daß sie den Anforderungen der Zeit uud
der Bildung nicht entsprach. Man gebrauchte daher zum Theil das Latein, namentlich auf
wissenschaftlichem Gebiet, und am häufigsten die deutsche Sprache, welche schließlich das
Orgau des öffentlichen Lebens und ebenso auch der wissenschaftlichen Forschung wurde.
Die Elite der damaligen Gelehrten hatte ihren Centralpnnkt in der P rage r
gelehrten Privatgesellschaft (Loukromä ueenü Zpoleönost), welche im Jahre 1769
unter Mitwirkung der aufgeklärten Aristokraten Jgnaz Born (gestorben 1791) und
Franz Josef Graf Kinsky (gestorben 1805) begründet und im Jahre 1784 in die
königlich böhmische Gesellschaft der Wissenschaften (Xrgl. eeskü sxoleenost nauk)
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Volume 15
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Böhmen (2)
- Volume
- 15
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1896
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.07 x 22.35 cm
- Pages
- 708
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch