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Der Dichter des Zizka bewährte noch einmal seine volle lyrische Kraft, als er die
deutschen Siege des Jahres 1870 begrüßte nnd sein ungeschwächtes Gestaltungsvermögen
in der poetischen Erzählung „Wennher", in der er Scheffel verwandte Klänge anschlägt.
Als Dramatiker, zumal als Dichter der tiefgreifende« Tragödie „Das Weib des Urias"
fand er das Lob der Kenner, aber nicht den anhaltenden Beifall des Publikums. In der
anmnthig erzählten Geschichte seines Lebens bot er wichtige Aufschlüsse über die Trieb-
kräfte einer bewegten Zeit. Über seinen Romanen, die interessante Schilderungen ent-
halten und von denen namentlich „Schwarzgelb" ein großes Publikum gefunden hat,
schwebt ein dunkles Geschick. Franz H edrich, ein Prager Jugendgenosse, den die Stürme
des Jahres 1848 um den Vater und um die Heimat brachten und der nach laugen
Wanderungen in Schottland seinen dauernden Aufenthalt nahm, trat als hochbetagter
Mann mit dem Anspruch auf die Autorschaft der meisten Romane auf, die unter
Meißners Namen erschienen waren. Daß er bei mehreren derselben heimlicher Mitarbeiter
gewesen, ist durch Meißners hinterlassene Aufzeichnungen sichergestellt. Der Streit über
das Maß dieser Mitarbeiterschaft, der über das Grab Meißners hintobte, ist bis heute
uicht beendet. Der unselige Zwist verdüsterte den Lebensabend des Einen, den die zähe
Forderung des alten Genossen bis in den Tod verfolgte, und die Gestalt des Andern, der
nach langem heimlichen Einverständniß mit so schonungsloser Härte auftrat. Daß auch
Hedrich zu den stärkeren Talenten gehört, die Böhmen dem deutschen Schriftthum ge-
schenkt hat, beweisen seine Nachtbilder aus dem Hochgebirge und seine Erzählung
„Brigitta", Werke, in denen die Kraft einer scharfen Charakterzeichnung und einer düsteren
Farbengebung sich bethätigt. Meißners Dichterruhm ist durch den tragischen Conflict
seines Lebens nicht verdunkelt worden. Jene hochgestimmten Gesänge, die ihm einen
Ehrenplatz in der Literatur sichern, sind sein unbestrittenes Eigenthum und die Hand, die
ihn persönlich bedrängte, konnte nicht an seinen Lorbeer heran. Glücklicher gestalteten sich
in Hartmanns Leben der blütenreiche Sommer und der ergiebige Herbst. Der Dichter,
dessen Bedeutung noch lange nicht voll gewürdigt ist, hatte die seltene Gabe, unter dem
Eindrucke wildbewegter Erlebnisse die volle poetische Sammlung zu bewahren. Fast gleich-
zeitig mit seinen bittersten politischen Satiren entstanden 1849 seine stimmungsvollen
poetischen Erzählungen „Schatten", die zu den Perlen unserer epischen Poesie gehören,
und sein anmuthiges Idyll „Adam und Eva". In einer Fülle von Novellen, die zum
großen Theile Meisterstücke der feinsinnigen psychologischen Darstellung sind, verwerthet
er die Eindrücke eines reichen Lebens. Sein Tagebuch aus Lauguedoc und Provence ist
ein Muster culturgeschichtlicher Mittheilung in vollendeter Kunstform. Seinen mensch-
lichen und künstlerischen Idealen ist er bis zum letzten Athemzuge treu geblieben und ans
allen seinen Werken leuchtet sein männlich schöner Charakterkopf hervor. Der Zug der
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Volume 15
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Böhmen (2)
- Volume
- 15
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1896
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.07 x 22.35 cm
- Pages
- 708
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch