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künstlerischen und technischen Verhältnissen als eigentliche Schöpfung des böhmischen
Volkes herausgebildet wurde. Die ungewöhnlich reiche Mannigfaltigkeit der verschiedenen
Bauaulagen erlaubt den Schluß, daß auch die zweite Periode des durchgebildeten
romanischen Stils der ersten nichts nachgeben werde.
Wenn die zwar sauber und solid durchgeführte, des architektouischeu Schmuckes
aber beinahe völlig bare Bauart die kleineren romanischen Denkmale der ersten Periode
charakterisirt, so schmücken die Kirchen des XII. Jahrhunderts ihr Gewand in gesteigerter
Decorationslust mit der schön und edel gegliederten Pracht des zur vollen Blüte gelangten
Stils, dessen klare und deutliche Sprache den theilweisen Mangel an historischen Zeug-
nissen ersetzt. In den böhmischen Geschichtsquellen findet man nämlich auch in diesem
Zeitraume nur vereinzelte und blos gelegentliche Nachrichten, daß z. B. der Edle Mladota
bereits vor dem Jahre 1137 die Kirche in Slapy, der Priester Zbyhnev die Kirche von
Ünetitz, Abt Silvester von Sazava die St. Michaelskirche in Mnichovitz, Friedrichs Gemalin
Elisabeth ex vvto die St. Johanneskirche Lvj iSt i - zwischen Prag und Vysehrad
erbauten. Bei der weit überwiegenden Mehrzahl von Landkirchen sind wir aber in Bezug
auf ihre Gründungszeit blos auf die Sprache der Architektur angewiesen. Von unschätz-
barem Werthe für die Zeitbestimmung und Reihenfolge der in diese Periode fallenden
Baudenkmale sind demnach vier Consecratious-Autheutikeu, sowie eine neulich entdeckte,
an einem Capitäl der Kirche von Vinee eingemeißelte Jahreszahl. Die älteste von den
genannten Consecrations-Urknnden stammt aus dem Jahre 1158, die übrigen drei aus
dem Jahre 1165, denen zufolge der Prager Bischof Daniel in Gegenwart des Königs
Vladislav und dessen Gemalin, der Königin Judita, den 30. Mai 1158 die von Gervasius,
Kanzler und Propst von Vysehrad, erbaute Kirche iu Bohuitz, den 11. Oetober 1165
die von Petrus, Abt in Ostrov, errichtete St . Andreaskirche auf der Altstadt
P rags , den 14. und 19. November desselben Jahres die Kirchen in Reeany und dem
Dorfe S t . Jakob einweihte, als deren Stifter Maria mit ihren Söhnen Slavibor
und Paul urkundlich angeführt erscheinen. Nachdem dieselbe Jahreszahl 1165 auf
einem der Capitäle der mit dem reichsten architektonischen Schmucke gezierten Kirche zu
Vinee vor kurzer Zeit aufgedeckt wurde, die beiden Kirchen aber, zu St. Jakob und
Vinee, den architektonischen Reichthum in der höchsten Entwicklung zeigen, ist hiermit
der Gipfel der Blütezeit des romanischen Stils in Böhmen fixirt und kann demnach die
chronologische Reihenfolge der böhmischen Landkirchen des XII. Jahrhunderts mit voller
Sicherheit festgesetzt werden. Die Kirchen in Kyje, Rovny, Kondrae, Poritsch
(St. Galluskirche), Mühl Hausen (Milevsko — St. Ägidiuskirche), Recan, P lanan ,
Müglitz, Liebshausen, Potvorov, Rndig, Vinec nnd Söber le bilden eine auf-
steigende Tonleiter, deren Töne die schönste Harmonie eines echten Kunstwerkes erzengen.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Volume 15
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Böhmen (2)
- Volume
- 15
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1896
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.07 x 22.35 cm
- Pages
- 708
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch