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weihevollen Würde oder einer fröhlichen Laune, welche nichts Aufdringliches besitzt. An der
Spitze dieser Arbeite» steht das in den Jahren 1491 bis 1493 von Matthäus Illuminator
für den Kntteuberger Hofmeister Michael Snn'sek von VrchoviKt' gemalte Cantionale (in
den Kunstsammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses in Wien) und ein ziemlich gleich-
zeitiges, ähnliches, gleichfalls aus Kuttenberg stammendes Werk in der Hofbibliothek in
Wien. Es folgen dann das kolossale Cantionale der fürstlich Lobkowitz'schen Bibliothek
zu Prag, das Cant ionale der S tad t Jnngbuuzlau vom Illuminator Janicek
Zmilely aus Pisek gemalt, ein stilverwandtes Werk zu Königgrätz von dem reichen
Bürger Johann Franns im Jahre 1505 gestiftet, das Graduale der Stadt Deutschbrod,
im Auftrage des Nikolaus Trcka von Li'pa von Paul Melniceusis 1506 geschrieben, und
jenes der Stadt Leitmeritz, von Jakob Ronovsky von Welgenau und Wenzel von Repnitz
gestiftet. Ein großes Bild in dem letzteren stellt die Verbrennung des Hus vor, eine
Darstellung, welche zur Zeit der Gegenreformation aus den meisten der anderen Chor-
bücher entfernt worden ist. Sonstige Darstellungen haben auf den Inhalt der Gesänge
Bezug; bei den meisten hat sich eine traditionelle Darstellungsweise festgestellt, hier und
da greifen die Illuminatoren zu den Stichen Schongauers, später auch Dürers und
bedienen sich derselben, falls die Auffassung ihrem Geiste entspricht, als Vorbilder, ein
Verfahren, welches zu jener Zeit auch in der deutschen und italienischen Kunst nicht zu
den Seltenheiten gehört.
Der Gebrauch der Gesaugbücher war ein änßerst ausgedehnter; bei jeder Kirche
bestand ein Literatenchor, zu dessen Bedürfnissen ein schön geschriebenes Cantionale
gehörte. Nach Abschaffung der lateinischen Gesänge begann die Prodnction von neuem.
Während in der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts einzelne reiche und angesehene
Männer das ganze Werk stiften, ist es in der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts
Ehrensache der ganzen Gemeinde, ein solches zu beschaffen; die Innungen, Bürger
und Bürgersfrauen, Patrizier und kleine Lente, selbst Bauern aus der Umgegend trugen
das Ihrige dazu bei, daß das seltene Buch sich zu ihrem Andenken und zum Ruhme
der Gemeinde so glänzend als möglich gestalte. Es liegt ein eigenthümlicher Zauber
darin, in diesen Folianten zu blättern, man sieht das Werk entstehen und wachsen, der
Ort und seine Bewohner treten uns leibhaftig entgegen, wir lernen das Leben und
Weben eines gottesfürchtigen Geschlechtes kennen und lauschen manchen intimen Charakter-
zug den alten Pergamentblättern ab. Selbst Werke von geringerem künstlerischen Werth
erhalten hierdurch etwas Anziehendes, vom culturhistorischen Standpunkte sind sie alle von
Wichtigkeit. Der massenhafte Bedarf dieser Chorbücher hatte schließlich eine Fabrication
im Großen zur Folge. Schon Paul von Melnik scheint die Ausstattung derselben
handwerksmäßig betrieben zu haben. Ein Cantionale seiner Hand in der Bibliothek des
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Volume 15
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Böhmen (2)
- Volume
- 15
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1896
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.07 x 22.35 cm
- Pages
- 708
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch