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mit Schlesien die Stufe industrieller und mercantiler Selbständigkeit, auf die es sich mm
verhältnißmäßig bald gestellt sah, uimmermehr erreicht hätte, wenigstens nicht in so kurzer
Zeit, wie dies thatsächlich der Fall sein sollte. Maria Theresia muß im höheren Sinne
dieses Wortes als die Begründerin der Jndnstrie Böhmens angesehen werden. Sie wurde
es in erster Linie durch die Bethätigung ihres sehnlichen Strebens seit dem Dresdener
Frieden,die Verwirklichung ihresHerzenswnnsches, der da lautete: Ersatz für Schlesien!
Nicht mit bewaffneter Hand, nicht durch gewaltsame Wiedereroberung, vielmehr ans
durchaus friedliche Weise sollte dieser Ersatz gewouueu werden: durch Verpflanzung alles
dessen, was eben Schlesien zu Schlesien gemacht hatte, uach Böhmen; durch fleißige,
sorgsame Pflege vor Allein des Handels nnd der Industrie — namentlich aber der specifisch
schleichen Industrie- und Haudelszweige iu dem dazu wie keiu anderes geeigneten Lande,
in Böhmen.
Dazu war es nicht nöthig, die Vorbedingnngen sozusagen aus dem Boden zu stampfen;
sie waren bereits vorhanden, in reichem Maße. Es kam nur darauf an, mit Verständniß
an das Gegebene anzuknüpfen. Dabei war nichts so sehr zu vermeiden, als wozu die
Versuchung allerdings sehr nahe lag, eine gewisse Überstürzung. Davor konnte einzig und
allein die Wahl der rechten Männer bewahren, die mit der Durchführung der kaiserlichen
Absichten betraut werden sollten. Die Kaiserin wählte diese Männer mit vielem Glück uud
Geschick. Auch deu berufeneu Hilfskräften blieb, wie natürlich. Mühe und Arbeit nicht
erspart. Nicht immer und überall wurde sofort das Richtige getroffen, Mißerfolge uud
Enttäuschungen waren unvermeidlich. Nur zähe Ausdauer führte zum Ziele.
Man keimt die zahllosen Reformen Maria Theresia's iu der Verwaltung nnd Jnstiz.
Weitaus das größte Interesse für uns hat, außer der Errichtung eines Universal-Eommerz-
Directorinms in Wien, die Activirung abgesonderter Eommerzien-Consesse in den
einzelnen Kronländern, welchen unter Oberleitnug der Länderstellen die gewerblichen nnd
mereantilen Fragen znr Berathung und Beschlnßsassnng zu übertragen waren. Der erste
Präsident des böhmischen Commerzien-Consesses war Karl Friedrich Graf Hatzfeld, der
spätere Staatsminister. An Hatzfelds Seite stand ein theoretisch und praktisch tüchtig
gebildeler Mann, Repräfeutatiousrath von Seyferth, der Verfasser der ersten „Generalien
znr Garn- und Leinwandeinrichtnng für Böhmen", die mit Patent vom 3. Angnst 1750
erlassen und lange Zeit als das unerreichte Muster derartiger Acte gerühmt wurden.
Zunächst in der Flachscultur uud Leiueumauufactur sollte die Eoncurreuz mit
Schlesien ausgenommen werden. Die „Generalien" brachten vorerst in dieses Gewerbe
eine gewisse Ordnung, so zwar, daß Spinner, Weber und Händler in allen ihren
Hantirnugen einer genauen uud scharseu Polizeiaufsicht unterstellt wurden. Hatzfeld nnd
Seyferth blieben bei den „Generalien" nicht stehen, sie sorgten anch für die Verbreitung
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Volume 15
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Böhmen (2)
- Volume
- 15
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1896
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.07 x 22.35 cm
- Pages
- 708
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch