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ihre Nationalität nicht ab, besonders wenn sie etwas Aneifernng finden. Das Landvolk
klammert sich zäh an seinen Boden, kann sich aber nicht ausbreiten, weil viel gebundener
und ungebundener Großgrundbesitz vorhanden ist. Die Hälfte des gauzeu Comitats-
gebiets, 600.000 Joch, ist Ackerland, wovon jedoch nur 40 Procent Bauerngüter sind,
während das Übrige mittleren und Großgrundbesitzern gehört. Und auch diese Güter sind
größtentheils schon richtiger Großgrundbesitz. Kleinere Landwirthschaften, das heißt solche
von 200 bis 400 Joch, von denen es im großen Alföld wimmelt, gibt es hier kaum;
die richtigen Besitzungen, wie es deren viele gibt, beginnen bei 800 Joch und steigen
dann aufwärts bis zu den Zehn- und aber Zehntausenden der Esterhäzy, Festetits,
Huuyadi, Jankovies, Szechenyi, Zichy, Jnkey, Czindery-Wenkheim u. f. w., sowie der
geistlichen Besitzungen.
Es läßt sich leicht denken, daß das Geschick des Adels noch wechselvoller war als
das des Volkes. Die alten adeligen Familien starben entweder aus oder schieden für
immer; nur die Merey, Vefsey und Zichy kehrten auf ihren vielhnndertjährigen Besitz
zurück. Ganz neue adelige und zum Theil hochadelige Geschlechter besetzten das Somogyer
Comitat, keineswegs zu beiderseitigem Nachtheil in Bezug auf die Cultiviruug der
nationalen Einrichtungen, wie auf die Bewirthschaftung der Güter. Die Somogyer
Aristokratie wirthschaftet gut und ist reich. Ihre Kornspeicher und Scheuern sind gefüllt,
ihr Grundbuch ist rein, höchstens durch Anlehen belastet, die zu neuen Erwerbungen
verwendet wurden. Die Landwirthschaften sind mit einer bis ins Äußerste gehenden
Vollständigkeit investirt, und wer Somogy kreuz und quer bereist, weiß gar nicht, nach
welcher Seite er schauen soll. Denn von allen Seiten winken ihm Maierhöfe von
verschiedenen Musterwirthschaften entgegen, über angebaute Tafeln hinweg, die von
thurmhohen Baumreihen umzogen sind. Und auf diesen Tafeln wird wohl bald das
Somogyer Urprodnct, der Roggen dem Weizen Platz gemacht haben und der werthvollsten
Gerste des Landes uud den Hackfrüchten und Futtergewächsen und der Zuckerrübe, von
der der Somogyer Boden erst seit jüngster Zeit überquillt. Wie lange noch, und die alte
Formel wird kaum noch einen Sinn haben, mit der einst der Somogyer Patriotismus
seine Heimat begrüßte: „Mein theures, schönes Land! du bringst zwar nur Roggen
hervor, aber ich liebe dich trotzdem von Herzen."
So ist denn Somogy dem Volke wie den Herren des Bodens eine glückliche Heimat.
Desto schlechter steht es nm die etwa 10.000 Köpfe des sogenannten niederen Adels
(Bundschuhadels), dessen Vorfahren einst das Vaterland mit den Waffen vertheidigten
und getreue Wächter der uationaleu Überlieferungen Ungarns waren. Diese Race führt
in den engen Schranken ihrer überdies sandigen und unfruchtbaren Scholle einen von
Tag zu Tag schwereren Kampf mit den Sorgen des Lebens.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (4), Volume 16
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (4)
- Volume
- 16
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1896
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.18 x 21.71 cm
- Pages
- 616
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch