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umgürtet, von den äußeren Mauern und Thürmen aber steht nur noch ein Stück an
der Westseite aufrecht.
Eine kurze Strecke von Siklös liegt der berühmte Wallfahrtsort Gyüd, .Qanäicka
qua Acminas ostenckunt eulmina turres" (auf weißen Hügeln zeigen sich seine beiden
Thürme); weiter führt eine von hohen Pappeln eingefaßte gute Landstraße gegen Westen
nach Harkäny, dessen schwefelhaltiges Badewasser inmitten eines weiten Parkes als
dicke Säule emporsprudelt. Die schattigen Anlagen, Rosen- und Oleanderhaine, sauberen
Pfade, wohl eingerichteten Wohn- und Baderäume lassen fast vermuthen, man sei hier in
ein Luxusbad gerathen, allein in einer Kammer sieht man die Krücken aufgehäuft, welche
die Geheilten zu daukbarem Angedenken zurückgelassen haben. Sagt nur die Hälfte dieser
Krücken die Wahrheit, dann ist dieser aus der Unterwelt aufsprudelnde kleine Phlegethon
ein Gottessegen; sein überschüssiges Wasser läuft als Bach, wie eine Schlange, aus
der Gemarkung hinaus, immer noch dampfend und schwarz, selbst wo er sich bereits mit
einem anderen Bache vereinigt. Dicht bei Harkäny liegt ein altes Dörfchen, Terehegy,
dessen Herrn, Johann Bika von Teremhegy, einst zur Zeit Ludwigs II. das Baranyaer
Comitat als Ablegaten zum Reichstag auf dem Räkosfeld gesandt hat. Hier endet die
herrenmäßige, oder wie sie sagen, „bunte" Volkstracht der Hegyalja; die folgenden Dörfer
blühen bereits ohne Übergang in weißer Kleidung. Das ist die schöne Ebene des Ormänsäg,
längs der Dran bis Somogy hinauf, ein Wald- und Anland mit schwarzem Sandboden
und etwa vierzig kleinen Dörfern voll weißgekleideten Volkes, das sich seine grobe Leinwand
für den Werktag und die feine für den Feiertag selber webt. Nur die Schürze ist beim
jungen Volk roth, bei dem mittleren Alter blau mit weißen Blümchen, bei den Alten und
in Trauer Befindlichen aber weiß. Ihre Tracht ist bereits in Band I dieses Werkes, im
Aufsatz über die „Ungarische Volkstracht" genauer geschildert.
Der fruchtbarste Theil des Ormänsag heißt Bö-köz (reiches Zwischenland). Die
Dörfer, die meist nur aus einem kurzen Gäßchen bestehen, sind klein und wenig bevölkert;
es gibt mehr unter, als über 400 Seelen; bis 1000 zählt keines. Die Häuser sind nach
Somogyer Art meist auf Balkenwerk gebaut, ursprünglich ohne Schornstein und mit
einem Strohdach gedeckt, das aber unter den schattigen Obstbänmeu der Höfe und den
zahlreichen Pflaumenbäumen der Gärten fast verschwindet. Das Volk des Ormänsag ist mit
dem an der Dran wohnenden Somogyer Volk verwandt, ja verbrüdert; sie sind identisch
an Religion, Bauweise, Sitten und Gewohnheiten; auch Dialect und Tracht unterscheiden
sich nur wenig. Es ist ein schlichtes, anständiges, gelehriges Volk; es gibt da wenig
schlimme, übelbeleumdete, bemakelte Leute. Es ist nicht so vielseitig uud belesen wie das
von Siklös, aber was es weiß, das weiß es besser, nämlich den Psalter und die Bibel.
Leseu uud schreiben kann Jeder, besonders aber singen, denn dies ist der singlustigste und
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (4), Volume 16
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (4)
- Volume
- 16
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1896
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.18 x 21.71 cm
- Pages
- 616
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch