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Verwandtschaft und „magyarischen Schwägerschaft", sondern dehnt den Genuß auch auf
die weitschichtige Menge der Bekannten aus.
Die anderweitigen Zusammenkünfte und Unterhaltungen werden immer seltener.
Den lustigen Weiulesen hat die verheerende Phylloxera ein Ende gemacht; die einst an
bestimmten Winterabenden gebräuchlichen Zusammenkünfte in den Spinnstubeu kommen
nur noch selten vor, sie sind den Veränderungen im wirthschaftlichen Leben zum Opfer
gefallen. Nur beim Kukuruzschleißen ist es noch Sitte, daß ein engerer Bekanntenkreis sich
gegenseitig hilft nnd in heiterer Stimmung das den Schleißern von jeher zukommende
bescheidene Abendbrot verzehrt. Statt der einst beliebten Zusammenkünfte dienen jetzt
als eigentliche verbindende Klammern des geselligen Lebens die in großer Zahl
entstandenen Lesevereine, Volksklubs, bürgerlichen Casiuos uud ähnliche Vereinigungen,
die nicht nur durch zeitweise arraugirte Unterhaltungen auf breitere Volksschichten wirken,
sondern auch ständige Brennpunkte der localen Gesellschaft sind, die an solchen Stätten
die für den Ort und die Gegend wichtigen sozialen, kulturellen, wirthschaftlichen und
gar oft auch politischen Fragen zu erörtern pflegt.
Die wichtigsten Fragen sind für sämmtliche Schichten des Volkes die landwirth-
schastlichen. Der größte Theil der Comitatsbevölkernng — 76 Procent — beschäftigt sich
mit Laudwirthfchaft, und so ist es natürlich diese, deren Angelegenheiten dem täglichen
Leben seine Richtung weisen.
Handel und Gewerbe sind verhältnißmäßig ziemlich gut entwickelt, erlangen aber
doch keine besondere Wichtigkeit. Die Nähe der Hauptstadt und die bequeme, rasche
Verkehrsverbindung mit Wien bringen es mit sich, daß ein erheblicher Theil der gewerb-
lichen Bedarfsartikel von der Hauptstadt, ja in beträchtlichem Maße von Wien her
geliefert wird. Freilich haben gerade diese Verbindungen auch wieder den Einfluß, daß
sie das Gewerbe der Provinz auf ein höheres Niveau steigern. In Stuhlweißenburg ist
jeder Gewerbezweig durch treffliche, verläßliche, auf der Höhe der Zeit stehende Gewerbe-
treibende vertreten und auch in einzelnen größeren Ortschaften des flachen Landes,
so in Moor und Csäkvar, findet sich fast für jeden Gewerbezweig eine tüchtige ausübende
Kraft. Über die Linie der localen Bedeutung hinaus können sich indeß alle diese Gewerbe-
betriebe nicht erheben. Manche Gewerbezweige weisen zwar, je nach der Größe des localen
Bedarfes, eine gedeihlichere Entwicklung auf; so die Csismenmacher in Stuhlweißenburg,
die auch auf Lager arbeiten und auf den Wochenmärkten mit ihren aufgeschlagenen Zelten
förmliche Lager bilden, denen sich noch die Zelte der die Czismen beschlagenden Schlosser
anreihen. Allein auch diese Industrie kann, wenn man nicht etwa die für die Armee
gelieferten Fußbekleidungen einzelner Gewerbslente ausnimmt, ebensowenig als das
übrige Gewerbe sich über den Bedarfskreis der eigenen Gegend hinaus geltend machen.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (4), Volume 16
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (4)
- Volume
- 16
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1896
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.18 x 21.71 cm
- Pages
- 616
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch