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Vor dem Essen liest der Hausvater den Anfang des Evangeliums des heiligen
Johannes, dann beten alle laut ein Vaterunser, Ave Maria nnd das Glaubensbekenntniß.
Zuerst werden mit Honig bestrichene Oblaten mit einem Stückchen Petersilie oder
Knoblauch verspeist, dann kommen eine Schwamm- oder Erbsensuppe, verschiedene Arten
von Brei, Kuchen, frisches und gedörrtes Obst. In der Freiberger Gegend kommen auf deu
Weihnachtstisch ueuu Arten von Suppen, im westlichen Mähren wiederum ebenso viele
Saucen. Nach dem Nachtmahl geht die gesammte Kinderschaar blökend uud mit Glocken
läutend als die „Herde von Betlehem" durchs Dorf. Anderswo wieder gehen die Kinder
von Haus zu Haus und siugeu fröhliche Weihnachtslieder (koleckx) unter den Fenstern.
Zur Theilnahme an der Feier des heiligen Abend werden auch die Hausthiere
herangezogen. Mit dem vou der Schippe, auf der die Kuchen in den Backofen gesetzt
wurden, abgewischten Mehl werden die Kühe bestreut. Dauu bekommt jedes Stück Vieh je
eine mit Höing bestrichene Oblate oder ein Stück Brot mit Honig und Knoblauch, woraus
dauu der Grand mit dem besten Futter augefüllt wird; denn so wie die Menschen, wurde
auch das Vieh bis zur Abendmahlzeit zum Fasten verhalten. Der Haushund, der Hahn
und der Gänserich bekommen vor allem andern ein Stückchen Weihnachtskuchen mit etwas
Knoblauch. Dem Hausgeflügel wird das Futter in einen ausgebreiteten Reifen gestreut,
damit es sich beisammen halte. Wenn die Hausfrau den Teig angemacht hat, geht sie in den
Garten und bestreicht die Obstbäume, um ihre Fruchtbarkeit zu erhöhen. Nach dem Essen
wird aus demselben Grunde ein Theil der Brosamen um die Bäume gestreut. Sogar der
Hausbrunnen wird hier und da mit einer Gabe bedacht. Der Hausvater wirst eine halbe
Nuß, einen halben Apfel nnd ein Stückchen Weihnachtskuchen in denselben und spricht
dabei: „Brünnlein, liebes Brünnlein! ich gebe dir vom heiligen Abend, damit dn uns
gutes Wasser gebest."
Der heilige Abend gehört zn den geheimnißvollen Tagen, an denen sich dem
Menschen die Zukunft enthüllt. Junge Mädchen suchen an diesem Tage auf die
verschiedenste Art zu erforschen, ob ihnen im kommenden Jahre eine „Staudesveränderuug"
beschieden ist. Das Mädchen nimmt den Kochlöffel, mit dem der Teig angemacht wurde,
begibt sich zum Brunnen, rührt darin und horcht dann, wie es im Brunnen rauscht.
Tönt es wie Gesang, wird sie heiraten, ist aber Glockengeläute zu vernehmen, steht ihr der
Tod bevor. Nach dem Essen kehrt die ledige Haustochter die Stube, nimmt den Kehricht
in die Schürze, streut ihn auf dem nächsten Kreuzweg im Kreise um sich und bleibt in
der Mitte des Kreises stehen. Hört sie einen Hahn krähen, bekommt sie einen guten
Sänger zum Manne, fällt irgendwo ein Schuß, ist ihr ein Jäger oder wenigstens ein
Heger beschieden u. s. w. Oder es nimmt das Mädchen einen Apfel vom Tisch, stellt sich
nnter den Hausflur und verspeist ihn dort. Geht während dessen eine Mannsperson vorüber,
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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Mähren und Schlesien, Volume 17
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Mähren und Schlesien
- Volume
- 17
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1897
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.42 x 21.88 cm
- Pages
- 750
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch