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Glasberge wohnenden Riesenvogels pawS (mährische Walachei) oder das Lebenswasser
bringt und dabei von Sonne zu Mond uud Wind wandert, der „dumme" Hans (kloupx
auch oder.Iura), der auf einmal die Welt dnrch seine Schlauheit überrascht
und schließlich mit der Königstochter ein Königreich erwirbt — der ganze Heerbann von
bösen Zauberern und Hexen, versteinerten oder in verschiedene Thiere verwunschenen
Prinzen und Prinzessinnen, die Riesen, Geister und fabelhaften Thiere — das Alles kehrt
in den Märchen des slavischen Volkes in Mähren wieder. Auch hier sprechen die Thiere
mit menschlichen Lauten, auch hier tragen die Bäume wunderliches Obst; ist dieses nicht gar
von Gold und Edelsteinen, so besitzt es wieder die drollige Eigenschaft, daß dem, der davon
ißt, eine unendlich lange Nase beschert wird. Auch alle jene schönen und nützlichen Sachen,
die in der Märchenwelt der Nachbarn dem Helden zum Ziele verhelfen: der unsichtbar
machende Hut oder Mantel, der Zanberfattel, der Zauberring, dem die Geister gehorchen,
der unerschöpfliche Geldbeutel und eine Menge anderer — sind der mährischen Märchen-
dichtung wohlbekannt.
Zieht man einen Vergleich zwischen den Märchen der einzelnen Volksstämme
Mährens in Bezug auf ihren dichterischen Werth, dann gebührt zweifellos denjenigen der
mährischen Walachen der Vorzug vor allen übrigen. Was au ihueu besonders anziehend ist,
das ist die Urwüchsigkeit und höchst naive Weltanschauung. Der dem slavische» Volke
überhaupt eigenthümliche Zug der mehr passiven, geduldigen Ausdauer findet namentlich
hier klaren Ausdruck. Das Verdienst des Märchenhelden um den Sieg über die unholden
Wesen besteht in der Regel weniger im activen Eingreifen in die Handlung, in positiven
Heldenthaten, als in dem oft übermenschlichen Ertragen von Qualen und Martern oder
wenigstens in der durch die verlockendsten Versuchungen erschwerten Entsagung, zugleich
aber in dem pünktlichsten Befolgen des erhaltenen Rathes oder Auftrages. Bei den
Heldinnen der mährischen Märchenwelt besteht wieder der Heldenmnth in der hingehendsten
Aufopferung für das dem Zanberbann zu entreißende Wesen. In dieser Hinsicht leistet
wohl das Höchste jene Königin-Mutter, die sich von ihrem standhaften Schweigen darüber,
was sie in dem letzten, ihr verbotenen Gemache des verwunschenen Schlosses gesehen hatte,
nicht einmal dadurch abbringen läßt, daß alle ihre Kinder sofort nach der Geburt ermordet
werden; dieses Schweigen war aber Bedingung für die angestrebte Entzauberung. Helden-
thaten werden im Kampfe mit Ungeheuern und Niesen mit Hilfe von wunderthätigen
Gegenständen, die dem Helden von dem ihn beschützenden Wesen verliehen wurden,
ausgeführt, wobei nur die Zauberformel herzusagen ist. Dem weichen slavischen Gemüthe
entsprechend, muß deu Helden, der das schöne Ziel erreichen will, Bescheidenheit und
Herzensgüte schmücken. Überhanpt ist das ethische und religiöse Moment in den Märchen
des mährischen Volkes hoch entwickelt. Namentlich aber ist Hartherzigkeit den Armen
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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Mähren und Schlesien, Volume 17
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Mähren und Schlesien
- Volume
- 17
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1897
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.42 x 21.88 cm
- Pages
- 750
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch