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die Slovakin ihre tägliche Arbeit verrichtet, vernimmt das Ohr die angenehmen Töne eines
Liedes. Die slovakischen Volkslieder weisen verschiedene Versformen auf; am häufigsten ist
der Alexandriner. Sehr beliebt ist der Kehrreim und zwar meistens zn Beginn der Strophe
oder am Ende der ersten Verszeile. Der Vierviertel-Takt und die Molltonart der Volks-
melodie spiegelt die Empfindnngswelt des Volkes ebenso treulich wieder, als der Vers
selbst und sein Bau. Im Zweiviertel-Takt oder in dem noch selteneren Dreiviertel-Takt sind
meist nur die Volkslieder gehalten, die das Volk beim Tanze zu siugeu pflegt. In neuerer
Zeit werden den beliebteren ungarischen Weisen gerne slovakische Texte untergelegt, denn das
Volk liebt die ungarischen Melodien sehr; aber auch diese singt es in schleppendem Tempo.
Der urwüchsige Gedankengang der Feldarbeiter drückt sich in den Liedern der
Schnittermädchen, den sogenannten .l 'iavnica" aus. Das sind gewöhnlich schwermüthige
Gesänge von 6 bis 10 zweizeiligen Strophen, den polnischen Xrakoviak ähnlich. Eine
solche Irnvniea ist die folgende:
Thät' um dich nicht klagen, wenn ich dich nicht liebte,
Doch ich muß ja klagen, weil ich dich so liebe.
Nicht das ist mein Kummer, daß ich dein nicht werde,
Mich quält nur, daß ich dich nie vergessen werde.
Beim Singen der ^ravniea pflegt das Mädchen die letzte Silbe des Gedichts
solange zu dehnen, als ihr Athem reicht, ja die Mädchen wetteifern förmlich, wer es länger
aushält. Vor kurzem hat M. Francisci hundert solche slovakische Volkslieder für Clavier
arrangirt und unter dem Titel: ,Blockes nationales slovaczues« herausgegeben.
Sehr viele slovakische Volkslieder zeichnen sich durch ausnehmend musikalische
Melodie aus. Zu diesen gehört auch folgende kleine Volksromanze:
Mutter schickt' auf's Feld mich, Gänse dort zu hüten ;
Trieb sie hin zur Mühle, wo die Gräser blühten.
Müllerin herauskam, schlug mir eine Gans todt,
Mit der breiten Schaufel schlug sie sie mir ganz todt.
Müllerin, du wart' nur, sollst mir das noch büßen,
Steht mein hübsches Gänschen nicht mehr auf den Füßen.
Hurtig, komm zum Richter, böses Frauenzimmer,
Denn mein liebes Gänschen, das erhob sich nimmer.
Wart' nur, schöne Müll'rin, spürst noch meine Tritte,
Ich verdamm' dir's Wasser in des Grabens Mitte.
Auch die kämpfereiche Vergangenheit des Vaterlandes hat dem slovakischen Volks-
lied viel Stoff geliefert. Das slovakische Volk des Oberlandes betheiligte sich stets mit
patriotischer Begeisterung an der Vertheidigung des bedrängten Vaterlandes und verewigte
seine landestreuen Gesinnungen oder die Leiden des Kriegslebens gewöhnlich im Liede.
Das slovakische Volkslied besang die Zeit Stefans des Heiligen, den Tatarensturm, den
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (5), Volume 18
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (5)
- Volume
- 18
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.02 x 21.71 cm
- Pages
- 462
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch