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aus dem jedoch die Königsburg mit ihrem Dome, manche Kirche und manche Bastei
emporragt.
Die „thürmende Stadt", von welcher Schiller spricht, scheint vor unseren Augen
aufzutauchen. Man glaubt in vollständige Vergangenheit einzufahren, aus der Gegenwart
in frühere Zeiten zu gerathen. Und das ist auch theilweise der Fall. Man möge nur die
krumme, zum Schloß führende Straße durchwandern, in welcher die Domherren seit Jahr-
hunderten wohnen. Wie still ist sie, wie todt und feierlich. Ein Wunder, daß hier kein Gras
zwischen den Pflastersteinen hervorquillt. Krakau ist ein Ort, wie Brügge, Mecheln
oder Pisa, eine Stadt, wo das Menschenleben der Vegetation zu sehr gleicht, daß man
dieselbe nicht auf den Straßen dulde. Die Häuser der Domherren sehen ebenso ehrwürdig
und alt ans wie sie selber und haben noch zum größten Theil ihre Attiea behalten. Freilich
genügt ein kurzer Gang durch die interessantesten Gassen, um gewahr zu werden, wie viel
Krakau von seinem mittelalterlichen Charakter eingebüßt hat. Feuerbrünste, Kriege,
Plünderungen haben dabei mitgewirkt, die größte Schuld trägt jedoch das XIX. Jahr-
hundert oder — besser gesagt — die Armut der Stadt in der ersten Hälfte unseres
Jahrhunderts. Damals wurde das alte Rathhaus zerstört, damals wurden die Stadtmauer
und ihre baufälligen Basteien niedergerissen. Der im Jahre 1815 creirten Republik Krakau
fehlte es an Mitteln zu kostspieliger Restauration. Was nicht mit geringer Mühe wieder-
hergestellt werden konnte, mnßte verschwinden. In den Zwanziger-Jahren konnte sich die
Stadt noch rühmen, einen vollständigen von Thürmen slankirten Mauergürtel zu besitzen:
der Verlust, den man damals wohl kaum empfand, erscheint heute unermeßlich.
In dem materiell und geistig verarmten Krakall spürte man wenig von der allgemeinen
romantischen Bewegung, von der neu ausblühenden Vorliebe für mittelalterliche Knnst,
Sitte und Leben. Prächtige Gartenanlagen, Plantazionen genannt, ziehen sich jetzt um das
frühere Krakau herum. Die Kastanien und Linden sind allerdings alt, ehrwürdig und
schattig; auch sie sind wiederum Vergangenheit geworden. Nur an der nördlichen Seite
stehen noch vier Thürme, die man als Andenken der zerstörten Befestigung bestehen ließ.
Im heutigen Aussehen der Stadt spielen die mittelalterlichen Überreste eine zwar
bedeutende, aber nicht die vorherrschende Rolle. Der Tourist wird viel öfter an die
Renaissancezeit als an die Epoche gothischer, geschweige denn romanischer Kunst erinnert.
Er muß vor Allem au die italienischen Meister denken, welche im XVI. und XVII. Jahr-
hundert nicht mehr für die Bürgerschaft, sondern im Auftrage der Könige uud adeligen
Würdenträger arbeiteten. Trotz seiner zahlreichen Backsteinkirchen, nnd trotz der in letzterer
Zeit beinahe systematisch vorgenommenen Entstellung seiner Privathänser trägt Krakau
heute viel eher den Charakter einer italienischen, aus der Epoche der Hoch- und Spät-
renaissance stammenden, als den einer deutsch-mittelalterlichen Stadt.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch