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Krakauer Vorstadt. Sie verdankt sowohl ihr Bestehen, als auch ihren Namen dem Könige
Kazimir dem Großen. Es ist dies der Kazimir, eine Stadt für sich, welcher der genannte
König im Jahre 1335 Privilegien verlieh, und die im Laufe der Zeit ein Judenviertel
Krakaus wurde. Das berühmte Amsterdamer Ghetto kann sich an malerischem Eindruck nicht
mit dem Kazimir messen. Hier ist dasselbe Menschengewühl, dasselbe beunruhigende
Treiben in den Gassen; allein die Sonne beleuchtet hier kräftiger all' die gelben Kopftücher
der Verkäuferinnen, all' die langen Atlasröcke, die nervösen Gesichter, die Fuchsfellmützen.
An einem hellen Julitage könnte man hier fast meinen, man sei nach dem fernen Osten
gekommen, ein solches Drängen, ein solches Lärmen, ein solches Geschrei in einer fremden,
unverständlichen Sprache! Jeden Freitag Abends schimmern die Fenster der elendesten
Häuser im Lichterglanz. Jeden Sabbath belebt sich die Vorstadt. Wie viele charakteristische
Köpfe, wie viele glühende, doch immer traurige Augen! In den Synagogen versammeln
sich die älteren, ernsteren Israeliten. Es gibt unter diesen Bethäusern sehr interessante und
schöne, obwohl zumeist verödete. Das bekannteste darunter ist ein aus dem Ende des
XIV. Jahrhundert stammender Hallenbau, welcher im XVI. Jahrhundert außen und innen
umgestaltet wurde. Er besitzt einen schönen, schmiedeeisernen Baldachin, reiche Renaissance-
zierathen an den Wänden und viele schöne messingene Kronleuchter.
Inmitten der vornehmlich von Israeliten bewohnten Vorstadt erheben sich prächtige
christliche Gotteshäuser; vor Jahren waren dieselben noch viel zahlreicher. Die Kirche,
welche am wenigsten ihren ursprünglichen Charakter bewahrt hat, ist die St. Michaels-
kirche „am Felschen", wo im Jahre 1079 König Boleslaus der Wilde den Krakauer
Bischof, den heiligen Stanislaus, erschlug. Hier befand sich, nach der Ansicht vieler Forscher,
die ursprüngliche Kathedrale. Heute haben wir hier einen Bau des XVIII. Jahrhunderts
vor uns. In der Nähe davon steht die S t . Katharinenkirche, vielleicht der schönste
gothische Bau Krakaus, auf jeden Fall aber die reichste an stilisirten Steinornamenten,
Fialen, Portalen und Stabwerk. Ihr Begründer war Kazimir der Große. Das durch
Brände zerstörte Gewölbe des Hauptschiffes wurde durch ein hölzernes, dem ersteren
nachgebildetes ersetzt. Auch hier mangelt es nicht an Grabmälern, interessanten alten
Triptychen und kostbaren Geweben aus dem XV. Jahrhundert. Kazimir der Große
soll auch den Bau einer anderen großen Kirche dieser Vorstadt begonnen haben, den der
Kirche ,<üoi-pus vomini-. Mit Ausnahme der aus dem XVII. Jahrhundert stammenden
Thurmhaube, des ungeheuren großen Barockaltars, der Renaissancekapellen und der
Rococoornamente — diese letzteren gehören fast zu den Seltenheiten in unserer Stadt —
hat das Ganze seinen kühnen, gothischen Charakter bewahrt.
Krakau ist eine stille, träumende Stadt. Hat man sie am Tage und in den
Einzelheiten besichtigt, so muß man sie noch einmal bei Nacht betrachten. Vom Beginn
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch