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Geschichtsleben teilzunehmen. Auch den Namen theilte es seither mit den übrigen von den
Warägern eroberten Ländern, indem es sowie jene „Ruö", nur zur Unterscheidung
„Czerwona Rus" , das ist das rothe ruthenische Land genannt wurde. Nicht als ob
dadurch Land und Volk mit allen übrigen Völkern der Rnrikowiczen identisch geworden
wäre. Ju dem ungeheueren Reiche derselben waren slavische und nicht slavische, meist
finnische Völker vereinigt, welch letztere zwar auch mit der Zeit slavisirt wurden, nichts-
destoweniger sich ihrem ganzen Wesen nach von den ursprünglich slavischen Reichsgenossen
unterschieden. Die Wissenschaft hat zwar darüber noch nicht ihr letztes Wort gesprochen, aber
das untrüglichste Zeichen dieser Verschiedenheit ist das tief eingewurzelte Volksbewußtsein,
indem der ruthenische Bauer es durchaus nicht zulassen wird, daß man ihn für identisch
mit einem „Moskal" (Moskowiter) halte. Aber das Glaubensbekenntniß, die Schrift und
durch dritthalb Jahrhunderte auch die Geschichte zogen um alle diese Völker äußerlich ein
solches Band der Gemeinsamkeit, daß die meisten europäischen Sprachen diesen Unterschied
nicht einmal kennen. So faßt auch die deutsche Sprache alle Länder des einstigen Reiches
der Rnrikowiczen unter dem Namen Rußland auf, wobei sie höchstens Groß- und Klein-
rußland unterscheidet, ohne sich dessen bewußt zu werden, daß das Wort „Rußland" heute
einen ganz bestimmten Staat bezeichnet, und daß diese Indifferenz in den Benennungen
nothwendig eine Begriffsverwirrung nach sich ziehen muß. In neuerer Zeit ist zwar, wohl
mit richtigem Taktgefühl, für die Bezeichnung des Volkes das Wort „Rutheuen" aufge-
kommen, aber das Laud dieser Rutheuen wird auch heute noch Rußland, Kleinrußland,
Rothrußland, Weißrußland genannt und damit der Verwechslung immer ein offener
Raum gelassen. Um das zu vermeiden, werden wir im Folgenden das Land der Rnthenen,
entsprechend dem slavischen „RuH", „Rutheuieu" benennen, da sich einmal das Wort
„Rnthenen" in der deutschen Sprache eingebürgert hat.
Die Gründer der ersten Dynastie unseres Landes, der Rostist awiezen, waren die
drei Söhne des Rostislaw, eines Urenkels Wladimir des Großen, Rnrik, Wotodar
und Wasylko mit Namen. Ruthenien war damals in Theilfürstenthümer getheilt, über
welche der Großfürst von Kiew die Oberherrschaft führte. Die unselige Seuioratserbfolge,
die hier auch auf die Theilfürstenthümer ausgedehnt wurde, beschwor unzählige Bruder-
kriege herauf, die Jahrhunderte währten und zugleich mit den Einfällen benachbarter
Nomaden, namentlich der Polowcer, unsägliches Elend über das Land brachten. Auch die
Rostistawiczen gehörten zu den enterbten Fürsten, sie schlugen sich daher lange nach einem
Besitz herum, bis es ihnen endlich im Jahre 1087 gelang, das Czerwenische Land,
wahrscheinlich von Polen, zu erobern.
Der erste regierende Fürst dieses Landes war Rnrik Rostistawicz, seine
Hauptstadt Przemysl am San. Nach seinem baldigen Tode (gestorben 1092) theilten sich
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch