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seitdem Rußland gegen die Ufer des Schwarzen Meeres siegreich vorgedrungen war.
Doch brachte der lange Friede Polen keine wirkliche Erholung und Stärkung, selbst nicht auf
wirtschaftlichem Gebiete. Es fehlte überall an Unternehmungsgeist und wahrem Fortschritte,
nicht nur die staatlichen Institutionen, sondern auch das einst so rege polnische Gemeinwesen
erstarrte. Der Bauer gerieth erst jetzt, da die weitere Colonisation unterblieb, in wirkliche
Hörigkeit. Für die Städte ist diese Zeit eine Periode des größten Niederganges. Die einzige
Ausnahme bildete Warschan, wohin bereits Sigismund III. seine Residenz ans Krakau
verlegt hatte nud welches sich infolge dessen einer größeren Entwicklung erfreute. Das
städtische Gewerbe beschränkte sich auf die allergewöhnlichften Prodncte, der kleine
Handel ging in die Hände der Juden über, der früher so rege Kunstsinn schwand dahin,
Kirchen und Bürgerhäuser gingen dem Verfalle entgegen. Der Adel war auch weit davon
entfernt, sich wirklich mit dem Ackerbau zu befassen. Der Export sank und das bare Geld
wurde im Lande immer seltener.
In diese Erstarrung, von welcher das politische und wirthschaftliche Leben Polens
jener Zeit ergriffen war, versank schließlich auch dessen geistiges Leben. Das Volk
erlangte seine religiöse Einheit, dank der unermüdlichen Thätigkeit des Jesuitenordens,
welchem dafür das Monopol der öffentlichen Erziehung zntheil wurde. Nur die Krakauer
Universität setzte diesem Monopole gewisse Hindernisse entgegen und hintertrieb die
Gründung einer neuen Hochschule. Diese Streitigkeiten zeigten aber, daß die Krakauer
Universität, in welcher die scholastische Richtung wieder die Oberhand gewonnen hatte,
nicht mehr im Stande war, mit dem Jesuitenorden den Wettkampf aufzunehmen. Es fehlte
keineswegs an Schulen, aber, nach einer einzigen Schablone eingerichtet, beschränkten sich
dieselben auf eine rein formelle Bildung. Sie sanken zu Werkzeugen des herrschenden
politischen Systems herab und verherrlichten dessen Auswüchse in den Augen der Jugend.
Die gedruckte Literatur war, was die Anzahl der Bände anbelangt, zwar nicht im
Niedergange begriffen; an Werth konnte sie sich aber mit der früheren keineswegs messen.
In dieser Zeit tiefsten Verfalles keimten jedoch bereits die Sprossen einer Wieder-
geburt. Sie zogen ihre Säfte aus der französischen Cultur. Mit dieser war Polen bereits
im XVII. Jahrhunderte, das zwei Französinnen auf dem Throne sah, in nähere
Berührung getreten. Adelige Jünglinge zogen nicht mehr auf die italienischen Universitäten,
welche übrigens auch dem Verfalle entgegen gingen; desto häufiger begaben sie sich nach
Paris, wenn auch öfters nur zu dem Zwecke, sich französische Manieren anzueignen.
Französische Sprache und Literatur verbreiteten sich wenigstens in den höheren Schichten
der polnischen Gesellschaft, und bereits in der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts
fanden sich Dichter, welche unter dem Einflüsse der französischen Literatur standen. Dem
neuen Geist, der aus Frankreich kam, verhalf der Orden der Piaristen zum Durchbruch;
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch