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wohl großartigen, aber doch mehr theatralischen Effectstück vertauschte. An den Ufern der
Weichsel, unterhalb der Mauern des Königsschlosses am Wawel stehen Tribünen, von
dichten Menschenmengen besetzt, die zugleich mit unabsehbaren Massen Volks durch ein
mächtiges Raketensignal znsammengernsen wurden. Musikbanden spielen Volkslieder,
Feuerwerke werden abgebrannt, Beifallsklatschen, Lärm überall! Auf der Weichsel
schwimmen Kränze, in den verschiedensten Zusammenstellungen und mit Lichtern versehen,
stromabwärts, während die männliche Jugend auf Booten und Kähnen hinterher ist.
Endlich kommt ein mächtiges Boot majestätisch herangeschwommen, das mit Kränzen und
Wimpeln geschmückt ist. Aus Mädchen und jungen Leuten zusammengesetzte Sängerchöre
sind darauf in zauberischer Beleuchtung grnppirt und führen Gesänge auf. Die Lieder
erbrausen, es folgt Beifallsklatschen und Rufen, der Feuerwerker entwickelt seine ganze
Kunstfertigkeit, bis endlich das Boot den Augen der Zuschauer entschwindet und die Feier
beendet ist.
Mit dem Frohnleichnamsfeste verbindet sich in Krakau noch eine andere Volks-
belustigung. Am letzten Tage der Octave nämlich eilen die Massen nach der Procession in
die Vorstadt Zwierzyniec. Von dort kommen ihnen bald andere Volksmassen unter dem
Klange einer quickenden Musik, unter Trommelwirbel und Paukenschlag entgegen. Mitten
in diesem Gewühle tummelt sich ein in tatarische Tracht verkleideter Mensch mit Turban und
gelben Stiefeln und gibt vor, er reite gleichsam ein scheu gewordenes Pferd, das indessen
nur ein zu diesem Zwecke hergestellter Popanz ist, in welchem er seine Sprünge macht.
In der Hand hält er einen tüchtigen Kommandostab, mit welchem er denen Hiebe
austheilt, die ihm im Wege stehen. Neben ihm gehen einige andere Tataren mit Feld-
zeichen und vor ihm schreitet einer mit einer großen Fahne einher. Ehemals producirte sich
dieser Zug nur im Klosterhofe der Norbertinerinneu auf dem Zwierzyniec, später erst
begann er bis zu dem erzbischöflichen Palast in Krakau aufzumarschireu, heute aber stellt
er sich auch auf dem Ringplatze vor dem Hause des höchsten Repräsentanten des Staates
auf. Hier, sowie vor dem erzbischöflichen Palaste werden Fahnen und Standarten zum
Zeichen der Huldigung geneigt, worauf der Tatar sein Pferd tummelt, das heißt, die
verschiedensten Sprünge macht, wobei er auf den drängenden Troß einHaut. Nachdem er
die erwarteten Geschenke erhalten hat, kehrt der tatarische Haufen nach dem Zwierzyniec
zurück, wo er sich ein bescheidenes Gastmahl gestattet. Diese Volksbelustigung wird von den
Gebildeten „das Zwierzyniecer Pferdchen" (konik 2^vier?Mecki), vom Volke aber
„Lajkonik" genannt. Die Überlieferung erzählt, daß dies eine Erinnerung an den Sieg
bedeute, den die Bewohner der Vorstadt Zwierzyniec über die Tataren errungen haben,
welche vor Jahrhunderten gerade während der Frohnleichnamsprocession in Krakau
eingefallen waren. Von so einem Siege der Zwierzyniecer weiß jedoch die Geschichte gar
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch