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windet inan einen Erntekranz aus dem schönsten und edelsten Getreide, das die Gegend
hervorbringt, meistens aus Weizen. Dieser Kranz wird im Hause jenes Madchens
gewunden, welches beim Schnitt den Vorrang hatte; diese wählt sich Helferinnen, die
Anordnung aber hat eine ältere Frau zu leiten, welche hierin schon erfahren und gewandt
ist. Das Gerippe des Kranzes bilden drei Reifen, wovon einer die Unterlage herstellt,
während die beiden anderen, kreuzweise übereinander gelegt, die Krone bilden. Die Mädchen,
welche den Kranz winden, heißen Kranzjungfern, die älteren Frauen, welche man dazu einlädt,
heißen Brautmutter (eigentlich Brautwerberinnen), die Hauswirthe: Brautwerber. Beim
Kranzwinden singen die Kranzjungfern passende Lieder. So z. B. im Ropczyeer Bezirk:
„Tu Weizchen, wind' und streck' Dich! Und Jede breche hent'
Tu aber Reifen, deck' Dich! Die Blumen mir zur Zeit,
Doch flechtet nun auch Ihr Und reich' sie her gewunden.
Und reichet, Mädchen, mir Auf Stäbchen aufgebunden,
Vom Weizchen immer. Zum Kranz mir immer.
Ans Rosen macht Stränste,
Hochrothe und weiße.
Mit Bändern umschlingt sie
Und hieher bringt sie
Znnl Kranz mir immer."
Am folgenden Tage wird der Kranz, gewöhnlich auf einem vierspännigen Gefährt,
zur Kirche gebracht; die Kranzjnngfern tragen Blumen im Haar, die Pferde sind mit Reisig
geschmückt, der Fuhrmann knallt heftig mit der Peitsche, die Mädchen aber singen:
„Zur Kirche feierlich führt man den Kranz gemach,
Die Jungfern neben ihm, die Mütter kommen nach,
Vom Westen wehet her ein Lüstchen auf den Kranz,
Jetzt nimm ihn ab, o Jüngling, und bring' zur Kirch' ihn ganz,
Ihr aber Juugferu steiget vom Wagen nun herunter
Und mit dem Kranze führet zur Kirch' deu Jüngling munter."
Vor der Kirche wird der Erntekranz vom Wagen herabgehoben und einer der
Jünglinge, welche mit den Jungfern zugleich herbeigekommen waren, nimmt ihn auf den
Kopf und trägt ihn in die Kirche. Zu beiden Seiten begleiten ihn die Kranzjungfern,
hinterher geheu die „Mütter". In der Kirche befindet sich eine Menge solcher Kränze,
wenigstens so viele, als es in dieser Pfarre Edelhöfe und Vorwerke gibt.
Von der Kirche heimkehrend singen die Jnngsern:
„Ein Kranz gehöret mein',
Wein soll er geben sein?
Von Raute ist der Kranz
Geb' Dir ihn, Liebster, ganz.
Ich geb' ihn Dir, ja Dir! Ein Kranz gehöret mein,
Wem soll er geben sein?
Von Sinngrün ist der Kranz
Dir geb' ich ihn, mein Hans,
Ich geb' ihn Dir, ja Dir!"
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch