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So kommen sie singend zum Herrenhaus heran. Zu ihrer Begrüßung geht der
Gutsherr mit Frau und Kindern ihnen entgegen. Jener Jüngling oder die Anführerin der
Mädchen nähert sich, den Kranz auf dem Kopfe, mit ihrem ganzen Gefolge den Haus-
leuten. Es folgen Gesänge, in welchen die Herrschaft, ihre Familie, ihre Wirthschaft
gepriesen werden. Der Herr nimmt den Kranz in Empfang, beschenkt die Schnitter und
ladet sie auf den Nachmittag zum Erntefest ein, zu dem sich fast das ganze Dorf versammelt.
Der Allerseelentag. In den Städten herrscht der Brauch, Kränze auf die
Gräber niederzulegen und diese mit zahllosen Lampen zu beleuchten. Die Dorfbewohner
legen weder Kränze nieder, noch zünden sie Lampen auf den Gräbern an; statt dessen
lassen sie Messen lesen und beschenken die Armen reichlich. Wie bei den Deutschen,
so ist auch im polnischen Volke der Glaube verbreitet, daß die Seelen der Abgeschiedenen,
die sich im Fegefeuer befinden, an diesem Tage die Lebenden besuchen und um Mitternacht
in die Kirche gehen. Verstorbene Priester lesen Messen, verstorbene Knaben ministrireu,
ein verstorbener Alter läutet mit dem Glöckchen, verstorbene Gläubige beten. Wer muthig
ist, kann das alles sehen, kann es aber auch leicht mit dem Leben bezahlen. Das deutsche
Stück „Der Müller uud sein Kind" hat sich daher auch auf der polnischen Bühne ein-
gebürgert.
Die Vigilie des heiligen Andreastages (29. November). Die Nacht vor
dem Andreastage ist eine Nacht der Horoskope für die Mädchen. Durch die verschieden-
artigsten Mittel trachten sie ihr künftiges Schicksal zn erforschen. Sie brechen z. B. einige
Ästchen von einer Besenruthe ab und gießen geschmolzenes Wachs durch dieses Bes'leiu
auf kaltes Wasser. Aus den Gestalten, die sich durch diesen Guß bilden, leiten sie verschiedene
Folgerungen ab und rufen dabei die Mitwirkung des heiligen Andreas an. Bald bringen
sie einen Arm voll Holzscheite in die Stube und zählen die Stücke ab, ist die Zahl eine
gerade, so wird bald Hochzeit gemacht. Dann werden Nähnadeln in ein Gefäß mit
Wasser gethan, wessen Nadel zuerst untersinkt, der wird zuerst sterben. Wenn ein Bursch
und ein Mädchen je eine Nadel ins Wasser legen und diese schwimmen auf einander zu,
so ist das ein Zeichen, daß die Beiden sich mit einander vermählen werden.
Die Taufe wird gewöhnlich einige Stunden nach der Geburt des Kindes
vorgenommen. Sofort beginnt die dazu bestellte Frau mit den Vorbereitungen zum Tauf-
schmaus, während der Hausvater seine Bekannten bittet, Pathenstelle zn vertreten. Wenn
man das Kind dem Pathen etwa durch das Fenster hinaus reichen würde, so wäre ihm keine
Gesundheit beschieden. Man soll es auch nicht auf dem linken Arm tragen, es würde sonst
ein Linkhand werden. Auf dem Wege zur Kirche sollen diePathen viel reden, lachen und singen,
damit das Kind heiter und muthig werde. Weint das Kind während der Taufhandlung, so
wird es gedeihen und eine klangvolle Stimme haben. Wenn es gelänge, das Gesichtchen des
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch