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Halbgebildete nicht selten, besonders in Städten, in den Fehler verfallen, mit der fremden
Sprache zu prahlen und sich dadnrch nnter der Volksmasse hervorthun wollen.
Der Rnthene zeichnet sich durch tiefe Religiosität aus, wovon die zahlreichen Kirchen
nnd Kapellen, Bildstöcke und Kreuze, die an allen Straßen und Wegen zu sehen sind,
Zeugniß geben. Er bringt dem Seelsorger großes Vertrauen entgegen, welcher daher
ans ihn den größten Einfluß zu üben vermag. Gastfreundschaft nnd Barmherzigkeit bilden
von altersher ein charakteristisches Merkmal des Rnthenen. Der Fremde findet in jeder
rnthenischen Bauernhütte gastliche Aufnahme und einen gedeckten Tisch mit Brod und Salz
als Symbolen der slavischen Gastfreundschaft. ,?list' vv clim, Lok 2 nvin!" (Der Gast
ins Haus, Gott mit ihm!) lautet das rutheuische Sprichwort. Ebenso findet auch der Arme
oder vom Unglück Getroffene jederzeit hilfreiche Unterstützung.
Bei aller Friedensliebe ist der Ruthene ein tapferer Soldat. Die rnthenischen
Regimenter haben anf vielen Schlachtfeldern glänzende Beweise der Trene und Anhänglichkeit
an das angestammte Kaiserhaus und an das Reich, sowie ihrer Entschlossenheit und
Aufopferungsfähigkeit geliefert. Den Tod fürs Vaterland stellt der Rnthene im Volksliede
einer Hochzeit gleich, nnd der anf dem Schlachtfelde sterbende Soldat gibt seiner Mutter
Kunde durch den dahinfliegenden grauen Adler:
„Sag der Mutter: Dein »ohn im Dienste stand . . . .
Hat durch den Dienst gewonnen eine Äönigsmaid,
Eine Todtengrube ans kahler Haid."
Unter dem Einflüsse verschiedener Verhältnisse, der dnrch die Natur bedingten
Lebensart uud Ernährungsweise, sowie der Berührung und Mischung mit benachbarten und
fremden Volkselemeuten, hat der rnthenifche Volksstamm in Galizien ein mannigfaltiges
Gepräge erhalten, so daß es daselbst mehrere ethnographische Gruppen gibt, welche sich
von einander durch Typus, Tracht, Bräuche nnd Mundart unterscheiden und nicht selten
diesen Umständen ihre besondere Benennung verdanken. Ebenso hat die Bodenplastik des
rnthenischen Gebietes von Galizien, nämlich das Hochplateau von Podolien, die nördliche
San-Bug-Styr-Niederuug, die Dniesterebene und das Karpathengebirge, nicht unwesentlich
zur ethnographischen Mannigfaltigkeit der Einwohner beigetragen.
Weniger Mannigfaltigkeit bietet die Bevölkerung des Hoch- und Niederlandes dar,
wo dieselbe von einander wenig geschieden in regem Verkehr stand und mit Rücksicht auf
Sprache, Sitten und Lebensart häufiger in Berührung kam. Dagegen wurden hier Verhält-
nisse und Charakter der Bevölkerung mächtiger von den geschichtlichen Ereignissen beeinflußt,
als in unzugänglichen Gebirgsgegenden, wo die Bevölkerung in ihrer Entwicklnng fast
ausschließlich nnter dem Einflüsse der Natur stand.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch