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Kerzen verwendet werden, um eine Krankheit abzuwenden; belegt man einen mit dem
Tode ringenden Menschen mit einem neuen Namen, um den ausgesandten Todesengel
von der Spur seines Opfers abzulenken; ruft man auf den Gräbern die Fürsprache der
Todten an, wenn eine Gefahr droht; kreidet man die Fanden der Häuser, um einer
grassirenden Seuche den Eintritt zu wehren und feiert eine Hochzeit auf dem Gottesacker,
wenn die Epidemie, ungeachtet all dieser Mittel, noch immer nicht weichen will. Sehr
verbreitet ist der Glaube an die Wunderrabbis. Das sind nicht die an den Gemeinden
wirkenden, offiziell bestellten und mit einem statutarisch bestimmten Wirkungskreis
umgebenen Rabbiner, sondern Männer, die vermöge ihrer dynastischen Abkunft oder ihrer
Frömmigkeit dafür gelten, in persönlichen Beziehungen zu Jehova zu stehen und durch
ihre Fürbitte Wunder wirken zu können. Kranke, von den Ärzten aufgegeben, schleppen
ihre siechen Leiber in die kleinen, entlegenen Orte, wo die Heiligen wohnen, nm ihren
Segen zn erflehen. Blinde erwarten von ihnen ihr Augenlicht, Lahme den Gebranch
ihrer Glieder, unfruchtbare Ehen Nachkommenschaft, Kaufleute die Prosperität ihrer
Unternehmungen. Jeder bringt eine Gabe und nimmt eine Hoffnung mit. Namentlich
zur Zeit des jüdischen Neujahres und des Versöhnungstages finden förmliche Wallfahrten
zu diesen Wundermännern statt, die nicht als Betrüger bezeichnet werden können, weil sie
dem Hilfesuchenden nichts versprechen, als für ihn zu beten. Die Gläubigen, die zu den
Wunderrabbis halten, gehören zumeist zu der Secte Chasidim; fanatisch und wild wie
die Derwische, tanzen, springen und schreien sie beim Beten ebenso und sind nicht minder
intolerant; sie beten mehr und fasten mehr, als vorgeschrieben ist.
Einen diametralen Gegensatz zu diesen Hypertalmudisten bildet eine andere um
800 n. Ch. von Anan gegründete Secte, die Karmten, welche in der Krim zahlreich leben,
in der Felsenfestung Snfat-Kalai ihren Hauptsitz haben, mit den Ehazaren nach Polen
kamen nnd sich in Halicz, welches in alter Zeit seinen eigenen Fürsten hatte, niederließen,
wo sie Handwerke und Ackerbau treiben. Diese Secte, ein kleiner Ast vom großen
Judenstamme, verwirft vollständig die Vorschriften des Talmuds, befolgt dagegen mit
noch größerer Genauigkeit, als selbst die frömmsten Rabbiniten, jene der Bibel, und zwar
derart buchstäblich, daß dem Verbote, Samstag Feuer zu machen, dadurch entsprochen
wird, daß sie weder Licht anzünden, noch selbst bei größter Kälte heizen, während
die Rabbiniten im Gegentheile Freitag abends möglichst viele Kerzen anzünden und
im Winter an Samstagen ganz besonders behaglich warm machen lassen. Auch bezüglich
der Speisegesetze, der Fasten und der Feiertage halten sich die Karmten blos an die
Bestimmungen der Bibel. Sie führen sonst das Leben des Landmannes, dessen Tracht
sie auch tragen nnd von dem sie sich blos durch größere Sauberkeit und den Bart
unterscheiden. Untereinander sprechen sie tartarisch, sonst ruthenisch. Ihr Bethaus ist klein
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch