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Das Erste, womit wir uns beschäftigen müssen, ist die Feststellung des Begriffs:
was ist überhaupt unter dem Ausdruck Hausindustrie zu verstehen?
Bei der allgemeinen land- und forstwirtschaftlichen Ausstellung in Wien 1890
wurde eine selbständige Gruppe für Hausindustrie Österreichs aufgestellt und ein besonderer
Pavillon für die gefammte Hausindustrie aller Länder Österreichs errichtet. In dem
Programm für die Gruppe Hausindustrie lesen wir Artikel I: „Als Hausindustrie ist
jene Productionsform aufzufassen, in welcher der Landbewohner in oder bei seiner
Wohnstätte neben der land- oder forstwirtschaftlichen Berufsthätigkeit Gegenstände des
eigenen Bedarfes für deu Haushalt und die Kleidung (oder Artikel zum Verkauf, die
sonst Objecte der gewerblichen oder industriellen Betriebsamkeit sind) herstellt. Die
Mitglieder seiner Familie sind seine Hilfsarbeiter. Lohnarbeiter treten nur ausnahmsweise
hinzu. Jene in die land- nnd forstwirtschaftlichen Nebengewerbe fallenden Erzeugungen,
die uicht auf Kosten und Gefahr eines anderen, des Großgrundbesitzers, souderu auf
Rifico des Hausiudustrielleu fallen, gehören anch hierher."
Betrachten wir jetzt etwas näher die ländliche Bevölkerung von Galizien und
untersuchen wir, ob diese allgemeine für österreichische Hausindustrie aufgestellte Definition
auch für Galizien richtig ist nnd inwiefern sie unverändert bleiben kann.
Unser Bauer hat bis in die jüngste Zeit — in entlegenen Gegenden geschieht dies
noch jetzt — Alles, was er für sich und seine Familie brauchte, selbst, und zwar hauptsächlich
aus den Prodneten seiner eigenen Wirthschaft, nur mit Hilfe seiner eigenen ganzen Familie
nach alter Sitte und alten Traditionen seiner Gegend verfertigt. Seine Hauptbeschäftiguug
ist noch jetzt und war immer die Landwirthschaft und das nach örtlicher Möglichkeit in
allen Zweigen derselben. Aber alle von der landwirtschaftlichen Arbeit freie Zeit benützte
die ganze Familie, um nicht nur Lebensmittel vorzubereiten, sondern auch alle nothwendigen
Prodnete für Kleidung, Haushalt, Landwirthschaft uud Wohuuug herzustellen.
Im Herbst wurden Hanf und Flachs vom eigenen Felde, Wolle eigener Schafe
zum Spinnen vorbereitet, und aus Kräutern und Wurzeln verschiedene Mischungen gemacht,
nm Färbestoffe nach alten überlieferten Traditionen und Recepten zu bereiten. An
Winterabenden wurde fleißig gesponnen und zwar auf der im ganzen Lande üblichen
Knnkel (siehe das Titelbild) bei Hellem Lichte der im großen Backofen brennenden
Kieferwurzeln und Reiser. Der Wintertag wurde nach Beendigung häuslicher Arbeite»
von den Frauen verwendet, um Wäsche für die ganze Familie uud für sich die in der
Gegend üblichen Kleidnngsstücke zu verfertigen.
Der männliche Theil der Familie befaßte sich im Winter mit dein Weben von
Leinwand aus Flachs und Häuf, mit Tuchweberei uud mit Anfertigung der in der
Gegend üblichen Kleidnngsstofse und Kleidungsstücke, ferner mit der Zubereitung von
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch