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Fluß der kleinrussischen Melodie erforderte einfache Harmonien, ohne dissonirende, alterirte
Aeeorde und ohne Chromatismen. Die rnthenische Melodie, mag sie ein Kirchenlied oder
ein weltliches Lied sein, hat niemals Sprünge (höchstens bis zur Quint), sie drückt alle
Gefühle mit wahrer Plastik aus, ohne nach theatralischen Effecten zu haschen und ohne
die Gefühle pathetisch zur Schau zu tragen. Die kleinrussische Melodie bewegt sich oft in
einer Unklarheit der Donation, und dies alles bildet einen gewissen Reiz und Originalität.
Das Tempo des Kirchenliedes ist ein ungleiches und verschiedenartiges. Das Tempo der
„Jerosolimka" z. B. wechselt in einemfort, auf ein langsames folgt auf einmal ein
lebhaftes, nach dem dreistimmigen Chor ein Solo, wobei die zweite Stimme auf einmal
einfällt, um den Ausdruck zu heben. Die kleinrussische nationale Melodie beherrscht die
Harmonie, sie darf nicht eine Unterlage für musikalische Künsteleien werden. Es ist daher
nicht zu wundern, daß musikalisch Gebildete die neueste Richtung einer Modernisirnng
ihrer Kirchenlieder aufs lebhafteste bekämpfen.
Die Normiruug des dreistimmigen Gesanges und die Regeln, nach welchen derselbe
behandelt werden sollte, war das Werk des XVI. Jahrhunderts. Doch begegnen wir einer
Anzahl von Abweichungen, deren Grund in der musikalischen Begabung der Kleinrussen
liegt. Je nachdem ein Geistlicher oder, was oft der Fall war, ein Privatmann die Hebung
des Kirchengesanges sich zur Aufgabe machte, hob sich sogar in den kleinsten Marktflecken
und Dörfern rasch das musikalische Niveau unter dem Volke. Zu Ende des XVI. Jahr-
hunderts war neben dem dreistimmigen der vier- und fünfstimmige Gesang unter den
Rnthenen bekannt. Lemberg und PrzenttM behaupteten zu Anfang des XVII. Jahrhunderts
eine besondere Stellung, indem diese Städte die tüchtigsten Sänger, Diaconen, nach der
Moldau entsandten, um den serbischen und sogenannten griechischen Gesang zu erforschen.
Wirklich erhielt sich eine kurze Zeit dieser Gesang, bald jedoch beherrschte die sogenannte
Jerosolimka mit ihrer bunten Form die meisten Kirchen. Aus Lemberg und Przemyöl
verbreitete sie sich über Galizien nach Aniatyn, Kotomea, Trxbowla, Tysmienica,
Stanistawöw, Bohorodczany, Tarnopol n. s. w. Vom XVII. bis über das erste Viertel
des XVIII. Jahrhunderts war dieser Gesang überall in Galizien gepflegt.
Die Einführung des Liniensystems (1604) hatte anfangs keine sichtbaren Folgen.
Man war zu sehr gewöhnt an die Manier der Aufzeichnung nach der Methode Szaidnrows
und Mesenec (oben und unten Noten mit schwarzer, in der Mitte mit rother Tinte). Das
Mensural-System des Franco von Köln war niemals in der ruthenischen Kirche gebraucht,
der Sänger orientirte sich durch Zeichen, deren Anzahl neunhundert betrug, später kamen
nach und nach Linien, auf welchen quadratische Noten vertical aufgezeichnet wurden. Erst
im Jahre 1678 übertrug Korsakow das Kirchenbuch .IrmolvFion" ins Fünfliniensystem
und Josef Skolski hat dasselbe zum ersten Mal in Lemberg 1700 in Druck veröffentlicht.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch