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zu den deutschen uud italienischen Kuuststätteu stand, ein reicher bis zur Verschwendung
prachtliebender, an den Universitäten zu Padua, Bologna und Paris gebildeter Magnaten-
stand, eine oft bis zum Selbstruiu gehende Opferwilligkeit in Errichtung und Ausschmückung
großartiger Gotteshäuser, zwar wenige, aber bis zum XVI. Jahrhundert sehr cnltnrkrästige
Städte mit wohlhabendem, vornehm angelegtem Bürgerstande — dies Alles schien berufen
zu sein, die Entwicklung der Knnstindustrie in ausgiebiger Weise zu fördern. Aber was
große Vortheile bot, barg zugleich hemmende Hindernisse in sich. Der Hof war zu weit
dem Lande, der Großadel zu weit dem Bürgerstande, der Bürgerstand zu weit dem Volke
voraus; der Reichthum, die Bildung, die Sittenverfeinerung waren zu unvermittelt, zu jäh
aufsteigend und abfallend, ihrem Werthe und ihrem Grade nach gleichsam schluchtartig
geschieden. So fehlte nun die allmälige sanfte Abstufung, das durchschnittlich hinreichende
Maß höherer Lebensansorderiingen, dessen die Knnstindustrie, eben weil sie eine Industrie
ist, nicht gut entbehren kann.
Die heimatliche Knnstindustrie der Vergangenheit harrt noch der Forschung. Die
bisherige Kenntniß nicht nur der schriftlichen Quellen, sondern auch der noch erhaltenen
Objecte ist sehr lückenhaft und darin liegt auch der Grund, daß bis in unsere Tage hinein
über die nationale Kleinkunst zwei ganz extreme, sich einander ausschließende Auffassungen
sich behaupten konnten, von denen die eine Alles, was sich in Palästen, Gotteshäusern und
Museen des Landes erhalten hat, auf exotische, italienische, deutsche oder orientalische
Abkunft zurückführte, die andere hingegen in Bausch und Bogen der kunstfertigen Hand
autochthoner Arbeiter zuschrieb. Neueste Forschuugeu, weuugleich uoch nicht hinlänglich
fortgeschritten, ergaben, daß beide Annahmen willkürlich sind und daß auch hier die
Wahrheit in der goldeueu Mitte zu fiudcu ist. Es gab in der Vergaugeuheit unstreitig
ein heimatliches Kunstgewerbe, wenngleich es nicht immer national zu nennen ist. Denn
zwischen der lvcalen, heimatlichen und der ursprünglichen freinationalen Kleinkunst muß
in unserem Falle unterschieden werden. Die letztere entwickelt sich frei heraus, von äußereu
Einflüssen unberührt, ans dem Volksleben selbst, aus seinen ganz specifischen Bedürfnissen
und Sitten, aus seiner exclusiv nationalen Eigenart; die erstere ist eine Aneignung, eine
mehr oder minder organische Anpassung fremder Formen und Motive, welche jedoch über
eine rein mechanische Nachahmung hinausreicht und durch selbständige Fortentwicklung
einen originellen, beinahe schöpferischen Charakter erhält. Von den ganz autochthonen,
ursprünglich nationalen Kunstdenkmalen ist uns aus der Vergangenheit nur Weniges
übriggeblieben und dieses Wenige selbst steht der noch fortlebenden uralten Haus- und
Volksindustrie so nahe, daß eigentlich die letztere als der Ausdruck des streng Nationalen,
Angeborenen und Vererbten in Form und Decoration zn betrachten ist. Da nun in neuester
Zeit eifrig versucht wird, diese althergebrachten, mit konservativer Zähigkeit festgehalteneu
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch