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Wenn die Hirten ihre Herde ans die Weide treiben, so nimmt ein jeder außer dem
Hirtenstocke auch noch eine Hirtenflöte (tluer) mit, der sie die schönsten Weisen zu entlocken
wissen. Die Schafe werden dreimal täglich gemolken und zu diesem Zwecke von dem Oberhirten
mittelst eines etwa zwei Klafter langen, dünnen und nur an der Endseite breiten Rohres
(bueiuin) von der Weide gerufen. Die Rufmelodien sind sehr hübsch, werden weithin gehört
und erwecken einen feierlichen Wiederhall in den Bergen. Nach dem Abendmelken werden
die Schafe noch auf kurze Zeit, gleichsam zum Spaziergange (w porneala), auf die Weide,
hierauf in die Einfriedigung (tärlü) getrieben. Die Hirten speisen, unterhalten sich eine Zeit
lang und legen sich hierauf schlafen, um noch vor Sonnenaufgang die Schafe wieder auf
die Weide zu treiben. Den nächtlichen Wachdienst besorgen die Hunde.
Im Spätherbste verlassen die Gebirgsbewohner ihre Sennhütten, um mit den
Herden da zu überwintern, wo sie Heu genug gemacht haben, und wo sich für sie ein
ärmliches Häuschen (oclaie), für die Mehstücke eine ganz- oder halbgedeckte Umfriedigung
(tarc, oeol) befindet. Die nun eintretenden rauhen Tage des Herbstes gemahnen die zerstreuten
und geschäftigen Bewohner sich wieder um den Hausherd zu versammeln und für die Bedürf-
nisse des herannahenden Winters zu sorgen. Die Gebirgsbewohner steigen in ihre Thäler
herunter, versorgen das Hans mit dem nöthigen Brennmateriale, beginnen Tannenbäume zu
fällen, Klötze für Schindeln und für die Sägemühlen vorzubereiten und den letzteren zur
Verarbeitung zu Brettern, Pfosten, Latten :c. zuzuführen. Die Bewohner des flachen Landes
aber beginnen, nachdem sie ihre Feldfrüchte eingeheimst und in Scheuern (swäonlü) oder
auf Tennen (arie) in Schobern (stvF) untergebracht haben, das Getreide anszndreschen
nnd die Frucht in Speichern (dimdar, Fi-anar) unterzubringen oder auf den Markt zu
führen. Das Dreschen des Getreides und die Zufuhr des Brennmaterials aus dem Walde
für ein ganzes Jahr sind die Hauptbeschäftigung des Landmannes während des Winters;
ist dies zu Ende, so bleibt ihm nur noch die Pflege seines Viehstandes und die Ausfuhr des
Düngers auf die Felder übrig.
Nicht so verhält es sich mit der Arbeit der Frauen. Bei diesen dauert auch während
der Winterzeit die Beschäftigung ununterbrochen fort. Sobald sie den Männern auf dem
Felde wenig oder gar nichts mehr zu helfen haben, fangen sie an, die Wolle zu waschen
und zu krämpelu, den Hanf und Flachs zu weichen, zu brechen, zu hecheln und zu bürsten,
hierauf alles zum Spinnen und für den Webstuhl (stativü psntru tssut) vorzubereiten
und endlich allerlei Leinwand und Tuchgattungen zu weben und verschiedene Wäsche für
die Angehörigen anzufertigen. Daher auch der Spruch: »k'eineea lmbraeü casa! — Das
Weib kleidet das Haus!" Um an den langen Winterabenden die Arbeitslust für längere
Zeit rege zu erhalten, versammeln sich, sobald es dunkel wird, mehrere Nachbarinnen,
abwechselnd bei einer ans ihrer Mitte oder in einem eigens dazu gemietheten Loeale, indem eine
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Bukowina, Volume 20
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Bukowina
- Volume
- 20
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1899
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.14 x 21.77 cm
- Pages
- 546
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch