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Volksmund: „Auch der Hahn ist am Miste ein Wirth." Von einem Nachbar, welcher
nachbarliches Gnt und Hilfe mißbraucht, heißt es: „Mit des Nachbars Dreschflegel ist
leicht Dornsträucher zu dreschen."
Indem sich Gehöfte an Gehöfte, ein Nachbar an den andern reiht, entsteht das Dorf.
Die einzelnen Grunde werden dnrch Zäune, Raine (meZi), Erdhaufen oder Erdlöcher
(Ilipei, kopankö) abgegrenzt; auch das Dorf hat seine Grenzen gegen die Nachbardörfer,
welche im allgemeinen oder .lu'unvai«, wofern sie Erdhügel sind:
genannt werden. Die Grenzen zu verschieben ist eine schwere Sünde; deshalb behauptet das
Volk, daß Nachbarn, welche hienieden der Grenze wegen in Unfrieden leben, jenseits
einander auf einem Raine an den Haaren hin- nnd herzerren würden. Als gemeinsames
Gut gelten den Dorfinsassen: Das Wasser in den Bächen und Flüssen sammt den Fischen,
die Hntweide, die Kirche, der Friedhof mit seinen Obstbäumen, die Wege, die Brunnen im
Felde, die Bachbrücken, der Schotter an den Flüssen, das dürre Holz im Walde, die einzelnen
Ähren ans dem Felde nach der Ernte, die Pilze, Erd- und Brombeeren, endlich auch das
Wild im Walde.
Die oberste Stelle im Dorfe bekleidet bekanntlich neben dem Grundherrn und Priester
der Dorfrichter (ck^virnek, nac?alnell oder preckstoMel); unter ihm stehen die
Geschworenen (pr)'siaSni oder Ist ersterer unbeliebt, so sagt man: „Der
Dorfrichter bereißt das ganze Dorf", ist er unbeholfen, so heißt es: „Er will Alle lenken,
nnd kann keine Ahle schärfen." Neben dem Dorfrichter ist vorzüglich der Pfarrer (panotec),
wenn er beliebt ist, eine sehr einflußreiche Person im Dorfe, der allgemeine Rathgeber und
Helfer bei Processen, Krankheiten, Heiraten und in ehelichen Zwistigkeiten, wobei die
streitenden Theile sich oft seinein Urtheile unterwerfen. Eine minder günstige Stellung nimmt
der Dorflehrer ein. Ihn betrachten die Landleute als den Grund zum Bestände
der Schule und da sie dieselbe hassen, so sind sie anch dem Lehrer nicht sehr gewogen. Doch
hat sich dieses Verhältniß in neuerer Zeit wesentlich gebessert. Einflußreiche Personen im
Dorfe sind ferner noch: die Gemeindesecretäre (pz^ar), der Kirchensänger (chalc oder
6aska!), reiche, redegewandte Wirthe und auch alte ausgediente Soldaten.
An Sonn- und Feiertagen versammeln sich die Dorfbewohner im Wirthshanse, aus
der Hutweide, oder wo ein solcher besteht, im Lesevereine (e^wlnia), zur gemeinsamen
Unterhaltung und Berathung. Gastfreundschaft hält der rutheuische Landmann sehr hoch.
Liebe Gäste empfängt er oft schon an der Thür mit Salz nnd Brot, und wenn der Gast
Abschied nimmt, so begleiten (vvirMäögM) ihn noch die Hausgenossen mit Speise und
Trank bis zur Thür, bis hinter das Thor, ja selbst bis an die Dorfgrenze.
Rechtsanschauungen. Nach der Anschauung des Volkes ist der Todtschlag, den
ein Betrunkener ausführt, kein schweres Verbrechen, der nicht beabsichtigte Todtschlag
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Bukowina, Volume 20
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Bukowina
- Volume
- 20
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1899
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.14 x 21.77 cm
- Pages
- 546
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch