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ausreichenden Bekleidung. Verhältnißmäßig am geringsten ist die Zahl der erblichen
Krankheiten. Die Epidemien räumen furchtbar unter ihnen auf; einzelne Krankheiten aber
werden oft trotz guter Luft und guten Wassers epidemisch, da keinerlei Schutz gegeu sie
möglich ist. Die Wohnungen sind eng und bei der Kleinheit der Fenster nicht zu lüften.
Auch wenden sich die Leute lieber an Quacksalber (priMa, planetnik, voroSna, Kuba)
als an den Arzt, der gewöhnlich erst spät geholt wird, nachdem die häuslichen nnd Zauber-
mittel (car) nicht geholfen haben.
Seinem Charakter nach ist der Rnthene ruhiger als der Walache, er trägt keinem
etwas nach und ist nicht rachgierig wie dieser; er ist gutherzig und bis zur Naivetät einfältig,
dabei gehorsam, musterhaft treu und anhänglich. Er liebt die freie Natur, die er iu
seinen Liedern, besonders in denen der Schafhirten schwärmerisch preist. Er ist gemüthlich,
liebt Scherz, Gesang, Gasterei und auch den Tanz, obgleich er keinerlei charakteristischen
Tanz besitzt. In den gedehnten Melodien seiner Gesänge und Lieder liegt eine eigen-
thümliche Schwermuth, wie ja überhaupt in den kleinrussischen Liedern (ckumx). Helden-
gesänge (bxlma) hat er keine, bloß Volkslieder. Er singt und mnsicirt gern, hat aber
keine eigentliche Musik und auch seine Lieder sind in jedem Thal verschieden. Die Volkslieder
sind Räuber-, Hirten-, Soldaten- oder Liebeslieder. Unter den letzteren wieder gibt es
Spinner-, Hochzeits- (latkunja) uud Gelegenheitslieder. Seine Religion liebt er, ist aber
trotzdem über die Maßen abergläubisch. Überbleibsel einer slavischen Mythologie finden
sich bei ihnen keine, höchstens sind einige heidnische Namen, wie Peruu, Voloß, Lado,
Duuda gebräuchlich. Feen, wie die Vilas der Südslaven, kennen sie nicht, schreiben aber
einzelnen Menschen (kvniekmarnik, cornokiMnik, vökun) höhere Kräfte zu.
An ihren Gebräuchen hängen sie ungemein und berufen sich immer auf das Beispiel
ihrer Vorfahren. Dies erklärt auch ihre außergewöhnliche Rückständigkeit. Diese Eigen-
schaft steigert sich noch durch ihre ohnehin conservative griechische Religion, so daß es fast
den Anschein hat, als wollten sie gar keinen Fortschritt. Unter guter Leitung sind sie aber
doch ein gelehriges, durch klare Auffassung ausgezeichnetes Volk. Der Rnthene ehrt die
Obrigkeit uud ist gegeu die Herren unterwürfig, trachtet aber doch, wie alle an die Scholle
gebundenen Colonisten, sie durch Schlauheit zu überlisten. Hingegen hegt er zu Leuten,
in deren Wohlwollen er sich nicht getäuscht hat, ein grenzenloses Vertrauen.
In seinen Sitten ist er lax, aber nur der Gebirgs-Rutheue, wie ja alle Bergvölker.
Er ist nicht verliebter Natur, aber sehr trunksüchtig und trinkt, da er nichts anderes haben
kann, Brantwein (palenka, ?drjaks, korivku) und zwar ohne Maß. Ob ihn Freude oder
Leid betroffen, er betrinkt sich sofort und dann ist er kein Mensch mehr. Verbrechen kommen
selten vor, vou Diebstählen hört man kaum; was er Schlechtes, Strafwürdiges begeht,
geschieht meistens in der Trunkenheit.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (6), Volume 21
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (6)
- Volume
- 21
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1900
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.25 x 21.79 cm
- Pages
- 500
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch