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In der Psychologie hatte der Behaviorismus, von John B. Watson 1913 ursprünglich als Gegenposition zur
Phänomenologie formuliert, die Untersuchung von Verhalten mit naturwissenschaftlichen Methoden und
damit eine Objektivierung der Psychologie eingeführt und war zum vorherrschenden Paradigma geworden.
Das Gehirn wurde als Black Box betrachtet, über deren Inhalt keine Aussage möglich sei. Lediglich das be-
obachtbare Ereignis in der Umwelt (Reiz) und das mutmaßlich daraus resultierende Verhalten (Reaktion)
durfte Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung sein. Lernen war die Assoziation von Reiz und
Reaktion, der Geist eine tabula rasa. Darüber hinaus wurde über die Vorgänge und Strukturen innerhalb
der Black Box nicht weiter theoretisiert, ein Umstand, der zunehmend kritisiert wurde.
1957 erschien das Buch „Verbal Behavior“, in dem der Behaviorist seiner Zeit, Burrhus Fredric Skinner,
seine Hypothese zum Spracherwerb formulierte. In einer Buchbesprechung übte der Linguist Noam
Chomsky (1959) harsche Kritik und argumentierte, dass ein so komplexes Verhalten wie Sprache unmög-
lich durch den Behaviorismus, und somit durch assoziatives Lernen, allein, erklärt werden könne. Vielmehr
müsse es ein genetisch determiniertes mentales Modul geben, das es Menschen erlaubt, Sprache zu erwer-
ben, eine universale Grammatik, welche die Basis für den Erwerb jeglicher menschlichen Sprache biete.
Damit revolutionierte er nicht nur die Linguistik; die Kritik an Skinner wird auch als Meilenstein auf dem
Weg zu einem neuen Paradigma gesehen: dem Kognitivismus.
Bevor der Kognitivismus näher diskutiert wird, muss auf die vielleicht für die Entstehung der Kogniti-
onswissenschaften wesentlichste Erfindung und Voraussetzung hingewiesen werden: der Computer und sei-
ne formalen Grundlagen. 1936 hatte der Mathematiker Alan Turing (1912-1954) gezeigt, dass jede bere-
chenbare Funktion durch eine Turingmaschine implementiert werden kann (Turing, 1936; 1950). Eine ge-
naue Erklärung würde an dieser Stelle zu weit führen; wesentlich ist in unserem Kontext, dass sie – unend-
lich großen Speicher vorausgesetzt – jede berechenbare Funktion berechnen kann und, dass sie den Begriff
Algorithmus exakt präzisiert. Als solche bildete sie die theoretische Basis für die Entwicklung des Compu-
ters (etwa 1946 durch den Mathematiker John von Neumann), dessen Architektur nach wie vor die Basis
jedes Computers bildet (eine ausführlichere Darstellung findet sich in Bechtel und Graham, 1998, 6-14).
Zusammengefasst, lässt sich der wissenschaftsgeschichtliche Kontext um 1950 in sehr vereinfachter
Form zuspitzen (Tabelle 1): In der Psychologie gab es eine weit verbreitete Unzufriedenheit mit dem Beha-
viorismus, dessen Methoden es nicht erlauben, etwas darüber auszusagen oder zu untersuchen was, salopp
gesagt, im Kopf (der Black Box) passiert. Gerade daran hatten aber all jene Interesse, die menschliche Ko-
gnition verstehen wollten. Auf Seiten der Analytischen Philosophie gab es ein Angebot: Denken ist logisch
und basiert auf einer (formalen) Sprache; wir müssen also „nur“ einen Weg finden die Formalsprache „hin-
ter“ der Alltagssprache zu beschreiben. Chomskys Idee der Universalgrammatik bot eine neue Brücke zwi-
schen formaler Logik und natürlichen Sprachen. Und der Computer erschloss eine vollkommen neue Her-
angehensweise, mit der wissenschaftliche Theorien einer Prüfung unterzogen werden konnten. Anstatt Mo-
delle mit Papier und Bleistift durchzurechnen, konnten diese Modelle, wenn man sie in eine formalisierte
Form (entspricht Algorithmen, die als Computerprogramme implementiert werden) bringt, automatisch be-
rechnet werden und gegebenenfalls Vorhersagen für die empirische Forschung machen: die Methode der
Computersimulation.
L3T
Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Title
- L3T
- Subtitle
- Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Editor
- Martin Ebner
- Sandra Schön
- Publisher
- epubli GmbH
- Location
- Berlin
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 3.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 594
- Keywords
- L3T, online
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- Einleitung 1
- Einführung 11
- Von der Kreidetafel zum Tablet 27
- Die Geschichte des WWW 39
- Hypertext 51
- Geschichte des Fernunterrichts 65
- Informationssysteme 75
- Webtechnologien 89
- Multimediale und interaktive Materialien 99
- Standards für Lehr- und Lerntechnologien 109
- Human-Computer-Interaction 117
- Didaktisches Handeln 127
- Medienpädagogik 139
- Systeme im Einsatz 147
- Kommunikation und Moderation 157
- Forschungszugänge und -methoden 167
- Planung und Organisation 177
- Literatur und Information 185
- Die „Netzgeneration“ 201
- Multimedia und Gedächtnis 209
- Mobiles und ubiquitäres Lernen 217
- Prüfen mit Computer und Internet 227
- Blogging und Microblogging 239
- Vom Online-Skriptum zum E-Book 249
- Educasting 257
- Game-Based Learning 267
- Einsatz kollaborativer Werkzeuge 277
- Offene und partizipative Lernkonzepte 287
- Qualitätssicherung im E-Learning 301
- Offene Lehr- und Forschungsressourcen 311
- Lernen mit Videokonferenzen 319
- Simulationen und simulierte Welten 327
- Barrierefreiheit 343
- Genderforschung 355
- Zukunftsforschung 363
- Kognitionswissenschaft 373
- Diversität und Spaltung 387
- Lern-Service-Engineering 397
- Medientheorien 405
- Das Gesammelte interpretieren 413
- Wissensmanagement 421
- Sieht gut aus 427
- Urheberrecht & Co. in der Hochschullehre 435
- Interessen und Kompetenzen fördern 445
- Spielend Lernen im Kindergarten 455
- Technologieeinsatz in der Schule 465
- Technologie in der Hochschullehre 475
- Fernstudium an Hochschulen 483
- Webbasiertes Lernen in Unternehmen 489
- E-Learning in Organisationen 497
- Erwachsenen- und Weiterbildung 507
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- Sozialarbeit 525
- Human- und Tiermedizin 531
- Online-Labore 539
- Mehr als eine Rechenmaschine 547
- Bildungstechnologien im Sport 557
- Fremdsprachen im Schulunterricht 569