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Ein weiteres wichtiges Puzzlestück für die Analogie zwischen Denken und Logik lieferten der Neuro-
physiologe Warren McCulloch und der Logiker Walter Pitts 1943. Die Turingmaschine (und in der Folge
auch von Neumann-Computer) verwenden das von Leibniz erfundene Binärsystem, das heißt sie „kannte“
die zwei Symbole „1“ und „0“. Auch Nervenzellen kennen zwei Zustände: sie feuern („1“) oder sie feuern
nicht („0“). Auf Basis dieser Überlegung entwickelten McCulloch und Pitts (1943) ein sehr vereinfachtes,
abstrahiertes Neuronenmodell, mit dessen Hilfe sie zeigen konnten, dass ein Netzwerk dieser Neuronenmo-
delle – und damit auch das menschliche Gehirn – im Prinzip die selben Kapazitäten hat, wie eine Turing-
maschine, das heißt jede berechenbare Funktion berechnen und damit auch logische Formalsprachen ver-
körpern kann.
Die oben beschriebene wissenschaftliche Konstellation führte zu einer neuen Sicht auf menschliche Kogni-
tion und begründete so Mitte der 1950er Jahre das Entstehen der Kognitionswissenschaft (Bechtel & Gra-
ham, 1998). Was sie einte, war die Annahme einer Vergleichbarkeit von Mensch und Computer in dem Sin-
ne, dass der Computer ein reaktionsfähiger Mechanismus sei, der flexibles, komplexes und zielorientiertes
Verhalten zeigen kann, ebenso wie Menschen. Daher sei es nur natürlich von der Hypothese auszugehen,
dass ein solches System offenlege, wie Menschen zu eben dieser Flexibilität kämen, ergo zeige, wie der
menschliche Geist funktioniere (Newell, 1989). Diese Annahme schlug sich im zentralen Postulat „cogniti-
on is information processing“ (Englisch für „Kognition ist Informationsverarbeitung“), nieder. Informati-
onsverarbeitung wird in folgendem Sinne verstanden: Ein Algorithmus verarbeitet, verändert und generiert
Symbole, von denen behauptet wird, dass sie einen Ausschnitt der Welt repräsentieren (zum Beispiel das
Symbol „Haus“ repräsentiert ein reales Haus). Deswegen wird dieser Ansatz auch als symbolverarbeitender
Ansatz bezeichnet. Aufgabe einer Wissenschaft, die menschliche Kognition verstehen wollte, war es somit,
jene „Algorithmen“ menschlicher Kognition zu identifizieren, welche die Erkenntnisse aus oben genannten
Disziplinen künstlich erzeugen (im Sinne von Am-Computer-Simulieren) und diese Simulationsergebnisse
wiederum in empirischen (psychologischen) Experimenten zu überprüfen.
Das neue wissenschaftliche Paradigma, das – in Abgrenzung zum auf extern beobachtbares Verhalten
fokussierten Behaviorismus – die Untersuchung jener innerer Mechanismen, die für menschliche Kognition
verantwortlich sind, zum Ziel hatte, wird als Kognitivismus (Varela, 1990; Bechtel et al., 1998) bezeichnet.
Die Grenzen zum praktisch zeitgleich entstandenen Forschungsfeld der Künstlichen Intelligenz (KI) können
wir, zumindest für den Zweck dieses Lehrbuchs, als fließend erachten. Während für die KI der technische
Aspekt im Vordergrund stand, war es für die Kognitionswissenschaft der Versuch, menschliche Kognition
zu verstehen.
Das Revolutionäre an der neu entstandenen Kognitionswissenschaft war, dass zum ersten Mal zwei Me-
thoden zur Verfügung standen, eine Theorie zu überprüfen: Die Empirie, die eine Untersuchung des For-
schungsgegenstands „in der Welt“ ermöglicht, wurde durch ein mächtiges Instrument ergänzt, das eine
Theorie in Form eines Modells auf Kohärenz testen kann – um dann seine Vorhersagen wieder mit Hilfe
der Empirie zu überprüfen. Die ersten Systeme brachten schnelle Erfolge, konnten Probleme, wie den
„Turm von Hanoi“ lösen und – zur damaligen Zeit als Krone menschlicher Kognition gesehen – mathema-
tische Gleichungen lösen und Schach spielen.
L3T
Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Title
- L3T
- Subtitle
- Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Editor
- Martin Ebner
- Sandra Schön
- Publisher
- epubli GmbH
- Location
- Berlin
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 3.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 594
- Keywords
- L3T, online
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- Einleitung 1
- Einführung 11
- Von der Kreidetafel zum Tablet 27
- Die Geschichte des WWW 39
- Hypertext 51
- Geschichte des Fernunterrichts 65
- Informationssysteme 75
- Webtechnologien 89
- Multimediale und interaktive Materialien 99
- Standards für Lehr- und Lerntechnologien 109
- Human-Computer-Interaction 117
- Didaktisches Handeln 127
- Medienpädagogik 139
- Systeme im Einsatz 147
- Kommunikation und Moderation 157
- Forschungszugänge und -methoden 167
- Planung und Organisation 177
- Literatur und Information 185
- Die „Netzgeneration“ 201
- Multimedia und Gedächtnis 209
- Mobiles und ubiquitäres Lernen 217
- Prüfen mit Computer und Internet 227
- Blogging und Microblogging 239
- Vom Online-Skriptum zum E-Book 249
- Educasting 257
- Game-Based Learning 267
- Einsatz kollaborativer Werkzeuge 277
- Offene und partizipative Lernkonzepte 287
- Qualitätssicherung im E-Learning 301
- Offene Lehr- und Forschungsressourcen 311
- Lernen mit Videokonferenzen 319
- Simulationen und simulierte Welten 327
- Barrierefreiheit 343
- Genderforschung 355
- Zukunftsforschung 363
- Kognitionswissenschaft 373
- Diversität und Spaltung 387
- Lern-Service-Engineering 397
- Medientheorien 405
- Das Gesammelte interpretieren 413
- Wissensmanagement 421
- Sieht gut aus 427
- Urheberrecht & Co. in der Hochschullehre 435
- Interessen und Kompetenzen fördern 445
- Spielend Lernen im Kindergarten 455
- Technologieeinsatz in der Schule 465
- Technologie in der Hochschullehre 475
- Fernstudium an Hochschulen 483
- Webbasiertes Lernen in Unternehmen 489
- E-Learning in Organisationen 497
- Erwachsenen- und Weiterbildung 507
- Freie Online-Angebote für Selbstlernende 515
- Sozialarbeit 525
- Human- und Tiermedizin 531
- Online-Labore 539
- Mehr als eine Rechenmaschine 547
- Bildungstechnologien im Sport 557
- Fremdsprachen im Schulunterricht 569