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Die „geteilte Welt“ ist jedoch nicht einfach gegeben, ebenso wie Kognition entsteht sie in einem aktiven
Prozess: Menschen reagieren nicht nur auf Stimuli in der Umwelt, sondern wir verändern und strukturieren
sie in hohem Maße. Der Philosoph Andy Clark (1995) bezeichnet dies als Scaffolding (Errichten eines Ge-
rüsts): Wir strukturieren unsere Umwelt so, dass sie uns in unseren Handlungen, bzw. beim Erwerb von Fä-
higkeiten unterstützt. Ein alltägliches Beispiel ist der Terminkalender: Wir müssen uns nicht länger jeden
Termin merken, stattdessen werfen wir kognitive Last ab (man spricht von engl. „offloading cognitive
load“) und interagieren mit unserem Terminkalender, indem wir Einträge machen, bzw. ihn konsultie-
ren. Eine kognitiv anspruchsvolle Aufgabe – hier: viele unterschiedliche Termine exakt „im Kopf haben“ –
wird auf wenige Handlungsmuster in Form der Interaktion mit einem Artefakt heruntergebrochen.
Darüber hinaus strukturieren wir unsere Umwelt nicht nur durch Artefakte, wie Werkzeuge, Terminkalen-
der, Städte, sondern durch soziale Konventionen, Organisationen und – nicht zuletzt — durch Sprache.
Letztere bezeichnet Clark (1995) als „ultimatives Artefakt“, weil sie folgende Funktionen erfüllt:
Ein symbolisches Artefakt hat immer den Aspekt der Referenz. Das heißt ein Symbol referiert auf
den Gegenstand, für den es steht. Es ist klar, dass diese Referenz nicht im Symbol selber, sondern
durch eine Zuschreibung durch ein oder mehrere kognitive Systeme geschieht. Das Artefakt ist so-
zusagen nur Träger für eine potentielle Referenzfunktion.
Darüber hinaus vermögen symbolische Artefakte Teile unseres Gedächtnisses stabil zu halten und
die Strukturierung der Umwelt zu verhandeln.
Über Artefakte beeinflussen wir die Interaktionsmöglichkeiten anderer mit der Welt und werden in noch
stärkerem Maße selbst beeinflusst. Mit anderen Worten: Kognition (hier ist weitgehend menschliche Ko-
gnition gemeint) hat immer eine sozio-kulturelle Dimension, man spricht in diesem Kontext auch von Si-
tuated Cognition (Clark, 2001). Die nächste Generation erhält nicht nur die Gene der Elterngeneration, son-
dern wächst in die entstandenen sozialen und organisationalen Strukturen sowie die Interaktion mit physi-
schen Artefakten hinein. Tomasello (1999) bezeichnet diesen Umstand in seinem Buch „The Cultural Ori-
gin of Human Cognition“ als Ratscheneffekt (engl. „ratchet effect“): Wie die Zacken des Zahnrads, welche
die Drehung der Ratsche in eine Richtung erzwingen, ermöglichen Artefakte den Aufbau neuer Interakti-
onsmuster auf der Basis der bereits geschaffenen Artefakte.
Hutchins (1995) wechelt daher die Betrachtungsebene: In seinem Artikel „How a cockpit remembers its
speeds“ ist der Forschungsgegenstand kognitives System nicht mehr das Individuum, sondern ein sozio-
technisches System, das nicht nur aus Individuen (Piloten/Pilotinnen), sondern auch aus Artefakten (Mess-
instrumente und Unterlagen) im Cockpit, besteht. Um zu verstehen, warum das Flugzeug sicher landet,
reicht es aus seiner Sicht nicht aus, die kognitiven Prozesse im Kopf der Piloten/Pilotinnen zu analysieren,
eine Erklärung für die Leistung findet sich erst, wenn man alle Formen der Repräsentation – sei diese im
Gehirn, auf Papier, einem Messinstrument oder eine sprachliche Äußerung, sowie die Interaktionsmuster
zwischen ihnen — analysiert. (Man beachte an dieser Stelle eine weitere Umdeutung des Begriffs der Re-
präsentation!)
L3T
Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Title
- L3T
- Subtitle
- Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Editor
- Martin Ebner
- Sandra Schön
- Publisher
- epubli GmbH
- Location
- Berlin
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 3.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 594
- Keywords
- L3T, online
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- Einleitung 1
- Einführung 11
- Von der Kreidetafel zum Tablet 27
- Die Geschichte des WWW 39
- Hypertext 51
- Geschichte des Fernunterrichts 65
- Informationssysteme 75
- Webtechnologien 89
- Multimediale und interaktive Materialien 99
- Standards für Lehr- und Lerntechnologien 109
- Human-Computer-Interaction 117
- Didaktisches Handeln 127
- Medienpädagogik 139
- Systeme im Einsatz 147
- Kommunikation und Moderation 157
- Forschungszugänge und -methoden 167
- Planung und Organisation 177
- Literatur und Information 185
- Die „Netzgeneration“ 201
- Multimedia und Gedächtnis 209
- Mobiles und ubiquitäres Lernen 217
- Prüfen mit Computer und Internet 227
- Blogging und Microblogging 239
- Vom Online-Skriptum zum E-Book 249
- Educasting 257
- Game-Based Learning 267
- Einsatz kollaborativer Werkzeuge 277
- Offene und partizipative Lernkonzepte 287
- Qualitätssicherung im E-Learning 301
- Offene Lehr- und Forschungsressourcen 311
- Lernen mit Videokonferenzen 319
- Simulationen und simulierte Welten 327
- Barrierefreiheit 343
- Genderforschung 355
- Zukunftsforschung 363
- Kognitionswissenschaft 373
- Diversität und Spaltung 387
- Lern-Service-Engineering 397
- Medientheorien 405
- Das Gesammelte interpretieren 413
- Wissensmanagement 421
- Sieht gut aus 427
- Urheberrecht & Co. in der Hochschullehre 435
- Interessen und Kompetenzen fördern 445
- Spielend Lernen im Kindergarten 455
- Technologieeinsatz in der Schule 465
- Technologie in der Hochschullehre 475
- Fernstudium an Hochschulen 483
- Webbasiertes Lernen in Unternehmen 489
- E-Learning in Organisationen 497
- Erwachsenen- und Weiterbildung 507
- Freie Online-Angebote für Selbstlernende 515
- Sozialarbeit 525
- Human- und Tiermedizin 531
- Online-Labore 539
- Mehr als eine Rechenmaschine 547
- Bildungstechnologien im Sport 557
- Fremdsprachen im Schulunterricht 569