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35 | www.limina-graz.eu Es geht vielmehr auch darum, „wie die Marktperspektive unsere Gefühls-
welt beeinflusst.“ (Russell Hochschild 2003, 9) Die amerikanische Sozio-
login Arlie Russell Hochschild legte bereits 1983 mit The Managed Heart.
Commercialization of Human Feeling als eine der ersten eine empirisch
basierte Studie dazu vor. Ihr Fazit: „Wir übertragen die Regeln und Mus-
ter unserer GefĂĽhlsarbeit aus dem Leben auf dem Markt auf unsere nicht-
marktförmigen Lebensbereiche. Wir leben unser nicht-marktförmiges
Leben so, als ob wir einkaufen, Waren erwerben oder wegwerfen.“ (Russell
Hochschild 2003, 9)
Russell Hochschild unterschied dabei noch „gespielte Gefühle“ von „rea-
len Gefühlen“, das „wahre Selbst“ vom „falschen Selbst“ (Russell Hoch-
schild 2003, 151–155). Sighard Neckel weist in seiner Einleitung zur
deutschen Neu auflage ebenso vornehm wie zu Recht darauf hin, dass diese
Unterschei dung einige „kompliziertere Probleme“ aufwerfe. Denn auch
„authentische Emotionen“ seien „soziale Konstrukte“, die von „gesell-
schaftlich erlernten Bewertungsmustern und Ausdrucksregeln schon mit-
geprägt worden sind.“ Emotionen werden, so Neckel, „daher von feeling
rules nicht erst nachträglich überformt, sondern diese feeling rules „gehen
bereits in die Konstitution unserer Gefühlswelt ein.“ (Neckel 2003, 23–24)
Der „emotionale Kapitalismus unserer Zeit“, so Neckel, „steht ganz im
Zeichen einer Optimierung der Gefühle zugunsten persönlicher Durch-
setzungskraft und des Erfolgs im Marktwettbewerb. Aus der emotionalen
Selbstfindung, die einst die postmaterialistische Phase der kulturellen
Liberalisierung propagierte, wurde das emotionale Selbstmanagement,
dem nichts wichtiger ist, als mentale Ressourcen fĂĽr die Erlangung sozi-
aler Vorteile zu nutzen.“ (Neckel 2003, 24)
Eva Illouz hat in ihren Studien zum „emotionalen Kapitalismus“ (vgl. Il-
louz 2008; Illouz 2007; Illouz 2018) diese Forschungslinie weitergetrieben.
„Der emotionale Kapitalismus“, so dann Illouz, „ist eine Kultur, in der
sich emotionale und ökonomische Diskurse und Praktiken gegenseitig for-
men“ (Illouz 2008, 13). Diese gleichstufige Wechselseitigkeit zu betonen ist
wichtig. Denn sie bringt jene „breite Bewegung [hervor], die Affekte einer-
seits zu einem wesentlichen Bestandteil ökonomischen Verhaltens macht,
andererseits aber auch das emotionale Leben […] der Logik ökonomischer
Rainer Bucher | Die aktuelle Logik der Welt
Die kapitalistische Regierungstechnik arbeitet auf der Ebene
der GefĂĽhle und SehnsĂĽchte der Regierten.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven