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74 | www.limina-graz.eu In V. 4–9 demonstrieren Beispiele die radikale gottgewirkte Umkehrung
der herkömmlichen Hierarchien, zunächst in antithetischen Parallelismen
entfaltet (V. 4–5). So zerbricht etwa „der Bogen von Starken“ (vgl. das „Bo-
gen-Lied“ in 2 Sam 1,17–27, Davids Totenklage auf Saul und Jonatan), von
körperlich, sozial, wirtschaftlich, politisch oder militärisch überlegenen
Mächtigen (der Begriff wird im AT nicht für Frauen verwendet), wohinge-
gen sich „Strauchelnde mit Kraft gürten“ (V. 4); die LXX betont den Grund-
gedanken des Liedes in einem Wortspiel: „der Bogen von Mächtigen wurde
schwach, Schwache umgürteten sich mit Macht“. In den Sprachbildern,
die kriegerische Konnotationen wecken und auf der metaphorischen Ebene
wiederum transzendieren (die zuvor Ohnmächtigen rüsten ja nicht mili-
tärisch auf), klingt zugleich eine kriegskritische Note an: In Hos 2,20; Sach
9,10; Ps 46,10 (vgl. auch 76,4) zerbricht Gott Bogen und andere Waffen
und setzt so Kriegen ein Ende.8 Der Kontrast von „Satten“, die nun um
Brot arbeiten müssen (nach der LXX Mangel an Brot bekommen), während
„Hung rige“ sich ausruhen können (vgl. Dietrich 2011, 67–68.89) – bzw.
nach der LXX die Erde nicht zu bearbeiten brauchen (in Ruhe lassen, vgl.
Kraus/Karrer 2009, 303) –, nimmt sozio-ökonomische Ungerechtigkeit in
der Verteilung von Arbeitslast und Ressourcen ins Visier (V. 5).
Die GegenĂĽberstellung der einst Unfruchtbaren mit der Kinderreichen er-
hält Farbe durch die vorangegangene Erzählung, die das Leid kinderloser,
in einem patriarchalen Wertesystem als nutzlos verachteter Frauen the-
matisiert (ohne dessen Logik grundsätzlich und explizit außer Kraft zu set-
zen). Ebenso lässt sich der Hinweis auf JHWHs schöpferische Macht über
Leben und Tod in V. 6 (vgl. dazu Dtn 32,39; als Vergleichsfolie auĂźerdem
2 Kön 5,7), dem literarischen Kontext entsprechend, auch im Zusammen-
hang des Dankes ĂĽber eine glĂĽckliche Geburt lesen. Wenn JHWH aber fer-
ner als „Tötender“ beschrieben wird, zeigt dies, dass es das Bekenntnis zur
Einzigkeit Gottes auch angesichts der Schattenseiten des Lebens durchzu-
halten – bzw. wie in Ijob durchzuringen – gilt.
Staccatoartig wird Gottes Handeln in V. 6–7 umrissen, in V. 7 mit sozi-
al-politischem Fokus: „JHWH macht arm und macht reich, erniedrigt
und erhöht“ (zum letzten Gegensatzpaar vgl. Ps 75,8, verbunden mit der
Charakterisierung als Richter; ferner Ez 17,24; 21,31). Kaum eine andere
Stelle „entfaltet [...] in vergleichbarer Prägnanz und Rasanz das Bild eines
revolutionären Gottes, der die Verhältnisse nicht so belässt, wie sie sind“
(Dietrich 2011, 87). Wenn V. 8 (vgl. Ps 113,7–8) den Gedanken der Erhö-
hung erläutert: „er lässt aufstehen aus dem Staub den Niederen, aus dem
Kot erhöht er den Armen, um (ihm) einen Sitz zu geben bei den Edlen (in
Andrea Taschl-Erber | Die Macht der Ohnmächtigen
8 Hingegen als Strafe Israels oder
Elams in Hos 1,5; Jer 49,35.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven