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102 | www.limina-graz.eu heitliches Modell von der Welt, wie sie ist und wie sie sein soll. (Vgl. etwa
Taylor 2000) Das führt in jenen Fällen zu Konflikten, in denen religiöse
Lehren einen gesellschaftlichen oder politischen Zustand kritisieren und
die Be völkerung entzweien. (Frazer/Friedli 2015, 11–12)
Derartige Konflikte entstehen im Nahen Osten und Nordafrika im Zusam-
menhang mit Forderungen des islamischen Fundamentalismus. Islamisti-
sche Aktivistinnen und Aktivisten sehen eine islamische Konzeption von
politischem Gemeinwesen als authentischer und effektiver als das westliche
und säkulare Paradigma des modernen Staates. (Cesari 2013, vii) Theolo-
gisch beruht dieser Gedanke auf der islamischen Vorstellung, dass Gott
Muhammad seinen Willen über die Ordnung der gesamten mensch
lichen
Wirklichkeit mitgeteilt hat, was das Gemeinwesen inkludiert. Die theo-
logisch-normativen Konsequenzen sind konfliktrelevant im Nahen Osten
und Nordafrika spätestens seit der zunehmenden Popularität islamis-
tischer Parteien ab den 1960er-Jahren. Einen Höhepunkt in dieser Sache
markiert zweifellos der Wahlsieg der islamistischen FIS5 in Algerien bei den
Parlamentswahlen 1992 und der darauf folgende jahrelange Bürgerkrieg.
(Vgl. etwa Osman 2003)
Bearbeitung religiöser Konflikte
Nun werden Konflikte mit religiösen Dimensionen oftmals mit Unbehagen
wahrgenommen. Schließlich haftet dem Religiösen das Stigma der Irratio-
nalität an, was an dessen Ursprung in der Erfahrung des Heiligen gründet.
In der Konfliktbearbeitung manifestiert sich das u. a. in der so genannten
Unteilbarkeitsproblematik. Diese bezieht sich auf Verhandlungen zu heili-
gen Inhalten, die sich nicht der herkömmlichen pragmatischen Logik der
Diplomatie fügen: Göttliche Gebote können nicht bloß halb oder zu zwei
Dritteln erfüllt werden im Gegenzug für Zugeständnisse in anderen Be-
langen. Ron Hassner schlägt vor, religiöse Inhalte nicht als Verhandlungs-
objekte zu betrachten, sondern als inhärente Werte. Auch diese sind un-
teilbar. Von ihnen können keine Abstriche gemacht werden, ohne sie aus-
zulöschen. (Hassner 2009, 41–43)
Heilige Wahrheiten können also nicht verändert werden, aber sie kön-
nen dennoch in einer Weise interpretiert werden, welche Aussöhnung
und Konfliktlösung begünstigen. (Ibid., 43) R. Scott Appleby beschreibt
die Erfahrung des Heiligen als Nullpunkt jeglicher Friedensinitiative. Im
Rückgriff auf Rudolf Otto fasst Appleby diese Erfahrung als den Menschen
Maximilian Lakitsch | Religion und Konflikt in den Internationalen Beziehungen
5 Front Islamique de Salut
(dt. Islamische Heilsfront).
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven