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103 | www.limina-graz.eu überfordernd und jenseits jeglicher weltlicher Kriterien – die Erfahrung
des Heiligen ist interpretationsbedürftig. (Appleby 2000, 29) Appleby
sieht darin eine Ambivalenz grundgelegt, welche eine doppelte Militanz
zur Folge haben kann. Der religiös Erleuchtete kann sowohl eine Nähe zur
destruktiven als auch zur konstruktiven Radikalität im Handeln entwi-
ckeln: die Selbstüberwindung zur Anwendung von Gewalt gegen Menschen
ist ähnlich radikal wie ein Akt des Verzeihens gegenüber dem Feind. So
kann Religion zur Vergebung führen, wo diese nicht logisch, pragmatisch
oder emotional nachvollziehbar ist. (Ibid., 9–41)
Die Erfahrung des Heiligen als Nullpunkt der Konfliktbearbeitung bedeu-
tet nun, dass Spiritualität als gemeinsame Verständigungsbasis zwischen
Konfliktakteur und Peacebuilding-Akteur dienen kann. Jener muss selbst-
verständlich als religiös kompetent gelten können, v. a. für die Konflikt-
akteure. Auf dieser Grundlage können von religiösen Experten mit einem
authentischen Naheverhältnis zum Heiligen religiöse Normen und Prin-
zipien dementsprechend interpretiert werden, sodass diese zum Frieden
verpflichten und Gewalt ausschließen. Das schafft Friedensoptionen, wo
es nicht für möglich, weil irrational, gehalten wurde. Um von breiter ge-
sellschaftlicher Relevanz zu sein, müssen diese Interpretationen sodann in
Zusammenarbeit mit der religiösen und politischen Elite formalisiert und
institutionalisiert werden. (Hassner 2009, 153–174)
Strategien des Peacebuilding sind umso effektiver, je mehr sie an den je-
weiligen Kontext angepasst sind. Dazu bietet es sich an, die Dimensionen
des Religiösen als Orientierungsrahmen zu wählen. Der Konfliktanalyse
über die konfliktrelevanten Dimensionen von Religion müssen also die
entsprechend auf diese abgestimmten Friedensinitiativen folgen. Immer-
hin entspricht jede Dimension einer bestimmten ontologischen Realität.
In der Bearbeitung von Konflikten, welche die religiöse Identität betref-
fen, ist die Begegnung von Menschen von zentraler Bedeutung. Dabei ist
der inter-religiöse Dialog eine etablierte Strategie. Viele dieser Initiativen
zwischen Christen, sunnitischen und schiitischen Muslimen oder Drusen
gibt es etwa im Libanon.6 Andere Strategien stellen Versöhnungswork-
shops dar. Dabei treffen Menschen aufeinander, die auf den unterschiedli-
chen Seiten der Konfliktlinie(n) Feindseligkeit und Gewalt erlebt haben,
und sprechen über Trennendes und Verbindendes. Bereits seit 2012 haben
in Syrien mehrere solcher Initiativen stattgefunden.7
Konflikten in der Dimension von Religion als Diskurs muss narrativ ent-
gegnet werden. Das kann mithilfe von Gegen-Diskursen geschehen, wel-
che den Missbrauch von Religion für Zwecke der Gewalt verunmöglichen
Maximilian Lakitsch | Religion und Konflikt in den Internationalen Beziehungen
6 Siehe als ein Beispiel die etablierte
libanesische Maydan Foundation:
http://adyanfoundation.org/
[4. Mai 2018].
7 Siehe dazu etwa die von Belgien
finanzierte NGO Relief and Recon-
ciliation in Syria (http://www.re-
liefandreconciliation.org/) oder vom
syrischen Regime organisierte Ver-
anstaltungen. (Qaddour 2016; USIP
2015)
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven