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143 | www.limina-graz.eu Der Religionsunterricht gilt als entspanntes Fach. Doch sieht man genau-
er hin, stellt sich ein anderes Bild heraus. Schnell wird deutlich, dass er in
mehrfacher Hinsicht politisch, kirchlich und gesellschaftlich beansprucht
wird und in besonderen rechtlichen Konstitutionszusammenhängen steht.
Kein anderes Fach auĂźer dem Religionsunterricht wird in Deutschland im
gleichen MaĂźe durch staatlich-juristische Vorgaben begrĂĽndet und regle-
mentiert. Als einziges Unterrichtsfach ist es im Grundgesetz verankert und
wird ihm so ein fester Platz im Kanon der Schulfächer eingeräumt (vgl.
Meckel 2011; Grümme 2009, 43–50). Zum einen dient der Religionsunter-
richt dazu, dass Kinder und Jugendliche ihre nach Art. 4 grundgesetzlich
verbĂĽrgte Religionsfreiheit im Dienste der positiven Religionsfreiheit
ausüben können. Zum anderen ist der Staat an einem Religionsunter-
richt interessiert, damit dieser seinen Beitrag zur Werteorientierung der
demokratischen Gesellschaft leisten möge (vgl. Kalbheim/Ziebertz 2001,
282–297). Ist der Staat eher für die organisatorische Sicherung zuständig,
so zeichnen die Kirchen fĂĽr die inhaltlichen Vorgaben verantwortlich (vgl.
Ritter 2006, 124; Meckel 2011). Sie beanspruchen jedoch ĂĽberdies ĂĽber die
Vergabe einer Unterrichtserlaubnis eine erhebliche Mitverantwortung fĂĽr
die Auswahl von Lehrkräften.
Gerade wegen dieser Zwischenstellung des Religionsunterrichts wird man
davon sprechen mĂĽssen, dass die Einflussnahme auf den Religionsunter-
richt durch die Kirchen immer auch politischen Charakter trägt (vgl. Thiel-
king, 2005; Kenngott/Englert/Knauth 2015).
Auch gesellschaftlich steht der Religionsunterricht im Kreuzfeuer der Kri-
tik. Von den einen wird er als unzeitgemäße Veranstaltung abgelehnt. Von
den anderen wird freilich der Religionsunterricht mit Erwartungen un-
terschiedlichster Art überhäuft. Viele Eltern erhoffen sich vom Religions-
unterricht eine religiöse Erziehung, die sie selber aus bestimmten Gründen
nicht leisten können, zu der sie sich überfordert fühlen oder die sie nicht
leisten wollen (Scheilke 2001, 168). Zudem solle er im Sinne der Wertever-
mittlung und Kontingenzbewältigung wirken (vgl. Rainer 2008, 182–208;
Isgesamt Arens 2007, 15–55).
Und auch bildungspolitisch wird der Religionsunterricht in Anspruch ge-
nommen, hat er doch durch Selektion und Allokation als ordentliches Un-
terrichtsfach Anteil an den Grundfunktionen der Schule.
Bernhard GrĂĽmme | Religionsunterricht zwischen Macht und Bildung
Die Einflussnahme auf den Religionsunterricht
trägt immer auch politischen Charakter.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven