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34 | www.limina-graz.eu gions- und Weltanschauungsgemeinschaften als menschenrechtsfreie
Räume.
Religiöse und weltanschaulich basierte Begründungen eröffnen Zugän-
ge zu den Menschenrechten vor allem aus einer bestimmten Religion und
Weltanschauung heraus. In letzter Konsequenz begründen sie die Men-
schenrechte nicht moralisch, sondern leiten – ausgehend von den Lehren
und Glaubensinhalten einer bestimmten religiösen und weltanschaulichen
Perspektive – im Zuge eines Prozesses der „Adaption“ zu ihnen hin.
Adaption
Ein als „Adaption“ verstandener Prozess schafft eine Anschlussfähigkeit
der Menschenrechte für eine bestimmte religiöse Überlieferung, ermög-
licht eine legitimierende Anknüpfung vom eigenen religiösen Fundament
aus und eröffnet einen Zugang zu den Menschenrechten aus der Perspek-
tive der eigenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft (vgl. Ha-
bermas 2005, 116; Habermas 1999, 224). Adaption bewahrt im Unterschied
zur Interpretation, die eine Veränderung des Inhalts nicht ausschliesst,7
die Identität der Menschenrechte, übersetzt diese jedoch in eine Sprache
der eigenen Religion und legt darüber hinaus Akzente, Schwerpunkte und
Gewichtungen. Die Grenzen für eine Adaption der Menschenrechte geben
der Menschenrechtsbegriff selbst und die Menschenrechte vor.
Adaption kann auch Rezeption im literaturwissenschaftlichen Sinne,
„Rückkoppelungseffekte“ (Hilpert 2014, 60) oder Wiederentdeckungen
(Loretan 2014, 142) umfassen. Religions- und Weltanschauungsgemein-
schaften erschliessen sich im Zuge der Adaption der Menschenrechte die
Menschenrechte für sich. D. h. die Adaption wirkt nicht nur auf die eige-
ne Gemeinschaft, sondern auch auf die Menschenrechte (z. B. Akzentset-
zung, Fokussierung etc.), auch wenn diese dabei inhaltlich nicht verändert
werden. Die Adaption wirkt demzufolge nach innen, weil Religions- und
Weltanschauungsgemeinschaften die Menschenrechte für sich selbst als
ethischen Referenzpunkt erschliessen. Gleichzeitig hat die Adaption auch
nach aussen Folgen und ist demnach nicht nur unilateral, sondern bilateral
zu verstehen: Im Zuge der Adaption werden Akzent- und Schwerpunktset-
zungen und Ambivalenzen, die zu klären sind, sichtbar. Diese Klärungen
für das Verständnis der Menschenrechte und die gewählten Akzente und
Peter G. Kirchschläger | menschenrechte, demokratie und religionen
Adaption übersetzt die Menschenrechte in die Sprache der eigenen Religion.
7 Vgl. z. B. Cairo Declaration on Hu-
man Rights in Islam of 1990, die eine
Interpretation der Menschenrechte
darstellt, weil sie den Inhalt der
Menschenrechte verändert, z. B. mit
Artikel 24: „All the rights and free-
doms stipulated in this Declaration
are subject to the Islamic Sharia.“;
oder mit Artikel 19: „There shall be
no crime or punishment except as
provided for in the Sharia.“; aber
auch z. B. Bangkok Declaration of Hu-
man Rights of 1993, u. a. mit Artikel
6: „Reiterate that all countries, large
and small, have the right to deter-
mine their political systems, control
and freely utilize their resources,
and freely pursue their economic,
social and cultural development.“
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 194
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven