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axel Bernd Kunze | staat – Identität – recht
der Ebenbildlichkeit Gottes, die alle Menschen auszeichnet und so auch
deren Gleichheit bedingt“ (Furger 1994, 184).
Die Frage nach dem Staat und seiner Rolle wird damit grundsätzlich nicht
aufgegeben, aber um die Frage nach der rechten gesellschaftlichen Ord-
nung erweitert (vgl. Baumgartner 1999). Gleichwohl vollzieht sich inner-
halb der Politikethik nach und nach ein längerer Wandel im Verständnis
des Staates und seiner Rolle, der an dieser Stelle nur an drei Schlaglichtern
aus der wissenschaftlichen Sozialethik exemplarisch aufgewiesen werden
kann.
Albrecht Langner ging es in seiner Abhandlung mit dem Titel Menschen-
rechte – Staat – Gesellschaft vorrangig darum, im Rahmen der Ost-West-
Konfrontation seiner Zeit den Personalismus christlicher Staats- und Ge-
sellschaftsauffassung von einer marxistischen Gesellschaftstheorie ab-
zugrenzen. In klassischer Tradition arbeitet Langner die Rechts-, Wohl-
fahrts- und Kulturfunktion des Staates heraus. Gleichwohl geht er davon
aus, dass der moderne Staat sich vor allem als „Dienstleistungs- und Da-
seinsvorsorgestaat“ (Langner 1975, 16) zeige, bei dem weniger die staat-
liche Rechtsfunktion als die Aufgabe aktiver Gesellschaftspolitik im Vor-
dergrund stehe.
Einen Schritt weiter geht Bernhard Sutor in seinem Werk Politische Ethik,
dessen Erscheinen mittlerweile auch schon mehr als ein Vierteljahrhundert
zurückliegt. Der Eichstätter Politikdidaktiker und Sozialethiker spricht von
einer „zunehmenden Relativierung der nationalstaatlichen Ebene“: Der
„Nationalstaat herkömmlicher Form“ habe sich „funktional überholt“,
und es sei zu begrüßen, dass „emotionale Bindungen der Menschen an
Nation und Vaterland unpolitischer werden“. Heimat, Muttersprache und
Vaterland schreibt Sutor nur noch den Wert „unpolitische[r] Selbstver-
ständlichkeiten“ zu, wobei offenbleibt, wie deren Bestand weiter gepflegt
und erhalten werden soll. Politische Entscheidungen sollten sich hingegen
zunehmend an „allgemeingültigen Prinzipien“ (alle Zitate im Absatz: Su-
tor 1991, 140 [„Nationalstaat“ und „funktional überholt“ i. O. herv.]) und
an den Menschenrechten orientieren.
Walter Lesch setzt in seinem aktuellen Entwurf einer Migrationsethik dann
die Gesellschaft konsequent vor den Staat:
„Die politisch-ethische Sondierung beginnt mit der Verständigung über
das Gesellschaftsmodell, das […] vor allem die Frage in den Raum stellt,
in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben möchten […]: in einer ho-
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 194
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven