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Kurt remele | Christliche Kakistokratie
„Ist er [Trump] in seinen geistigen und psychischen Fähigkeiten ein-
geschränkt oder ist er einfach widerwärtig und gemein? Wenn er lügt,
weiß er, dass er lügt, oder glaubt er seine eigenen Lügen? Wenn er wüste
Anklagen erhebt, ist er wirklich paranoid, oder versucht er bewusst und
listig, von seinen eigenen Vergehen abzulenken?
Wir [wollen] deutlich machen, dass die beiden Tatbestände sich nicht
gegenseitig ausschließen. Ein Mensch kann sowohl böse als auch men-
tal beeinträchtigt sein – was eine furchterregendere Vorstellung ist.
Macht korrumpiert nicht nur, sondern sie verstärkt bestehende Psy-
chopathologien und erzeugt neue. Die Schmeichelei von Untergebenen
und der Jubel von Menschenmengen können dazu führen, dass sich die
Machtphantasien eines politischen Führers in Größenwahn verwan-
deln. Sozio
pathische Charakterzüge können sich ausweiten, wenn eine
Führungskraft entdeckt, dass sie die Normen der Zivilgesellschaft verlet-
zen und sogar Verbrechen begehen kann, ohne dafür bestraft zu werden.
Und eine Führungsperson, die durch Angst, Lügen und Betrug regiert,
könnte sich zunehmend isolieren und paranoid werden, weil sie sogar
die Loyalität ihrer engsten Vertrauten ständig in Frage stellen muss.“
(Hermann/Lee 2017, 7)
Hermann und Lee diagnostizieren hier, dass eine klare Grenzziehung zwi-
schen moralisch böse und mental beeinträchtigt kaum möglich ist. An
Trumps problematischer psychischer Disposition besteht für sie jeden-
falls kein Zweifel. Am Schluss ihres Vorwortes schreiben sie: „Gemeinsam
mit unseren Koautorinnen und Koautoren machen wir eindringlich darauf
aufmerksam, dass jemandem, der psychisch so labil ist wie Herr Trump,
schlicht und einfach nicht die Macht anvertraut werden sollte, über Leben
und Tod von Menschen zu entscheiden.“ (Hermann/Lee 2017, 8)
Wie es geschehen konnte, dass Donald Trump von 81 Prozent der US-ame-
rikanischen evangelikalen Christinnen und Christen weißer Hautfarbe
gewählt wurde, ist vielen Menschen völlig unbegreiflich. Sie haben kein
Verständnis dafür, dass Jerry Falwell Jr., einer der führenden Vertreter des
evangelikal-fundamentalistischen Protestantismus, Donald Trump als
„Wunsch- und Traumpräsident“ (Gerson 2018, 45) der Evangelikalen be-
zeichnet hat. Franklin Graham, der älteste Sohn des im Februar 2018 ver-
storbenen Star-Evangelisten Billy Graham, ließ die evangelikale Glaubens-
gemeinschaft wissen, dass sie mit reinem Gewissen für Trump stimmen
Donald Trump: Ein „Wunsch- und Traumpräsident“
evangelikaler Christinnen und Christen?
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 194
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven