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Kurt remele | Christliche Kakistokratie
oder Agnostiker (7,1 Prozent), der größere Teil aber sind Menschen mit frei
vagabundierender, eklektischer Religiosität, religiös bzw. spirituell nicht
uninteressiert, aber unwillig, sich einer konkreten, institutionell verfass-
ten Religionsgemeinschaft anzuschließen (15,8 Prozent).
Religiöse Überzeugungen haben in den USA viel mit Wohnort und Alter zu
tun. Die Menschen in den Südstaaten und in Utah sind wesentlich religiö-
ser als jene in den Neuenglandstaaten oder im Nordwesten. Deshalb wird
der Pazifische Nordwesten der USA, die Bundesstaaten Oregon, Washing-
ton und Alaska, auch als None Zone bezeichnet. Es gibt in diesem Landesteil
mehr Menschen ohne religiöses Bekenntnis als irgendwo sonst in den USA,
nämlich über 30 Prozent (O’Connell Killen/Silk 2004). Ebenfalls 30 Prozent
beträgt der Anteil der Bekenntnislosen in ganz Amerika bei den sog. ‚Mil-
lennials‘, den Zwanzig- bis Dreißigjährigen. In dieser Altersgruppe sind
zudem überdurchschnittlich viele Atheisten und Agnostiker zu finden, was
zumindest teilweise auf die hohe mediale Präsenz religionskritischer Vor-
denker wie Richard Dawkins, Sam Harris, Bill Maher und des im Dezember
2011 verstorbenen Christopher Hitchens zurückzuführen ist.
Die religiöse Landschaft der USA ist in den letzten Jahrzehnten wesentlich
vielfältiger geworden, die Zahl jener, die keiner Kirche angehören, ist stark
angewachsen. Viele junge Leute, unter ihnen vor allem die besser gebilde-
ten, legen die Religion ihrer Großeltern und Eltern ab. Konservative und
traditionalistische Gläubige, Evangelikale und christliche Fundamenta-
listen sehen sich durch diese Entwicklung stark verunsichert. Ethnischer
und religiöser Pluralismus ist etwas, das ihnen vergleichsweise unvertraut
ist: „Fast alle Denominationen mit einer großen Anzahl von Evangelikalen
sind ethnisch homogener als der Rest des Landes.“ (Gerson 2018, 49)
Ein zentrales Symbol für Evangelikale und Fundamentalisten, dass Ame-
rika nach wie vor ein christliches Land ist, ist die Beibehaltung des Weih-
nachtsgrußes und -wunsches Merry Christmas. Viele US-Amerikanerinnen
und -Amerikaner gebrauchen nämlich – oft neben dem nach wie vor üb-
lichen traditionellen Merry Christmas – heute auch die Formeln Happy Ho-
lidays und Season’s Greetings. Sie sind sich bewusst, dass in der dunklen
Jahreszeit nicht nur Weihnachten, sondern auch viele andere religiöse und
kulturelle Feste gefeiert werden: das hinduistische Lichterfest Diwali, das
jüdische Lichterfest Chanukka, der Bodhi Day, also das Fest der Erleuchtung
Der Weihnachtsgruß Merry Christmas ist für Evangelikale und Fundamentalisten
ein zentrales Symbol dafür, dass Amerika nach wie vor ein christliches Land ist.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 194
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven