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Franz Gmainer-Pranzl | „... mit dem menschengeschlecht und seiner Geschichte wirklich innigst verbunden ...“
So sehr nun dieses Konzept der Kirche als Sakrament zu würdigen ist –
wirkt es in Zeiten der Globalisierung nicht etwas altmodisch und pater-
nalistisch? Kann eine Weltkirche, die den dramatischen Spannungen und
Konflikten der Gegenwart ausgesetzt ist, sich tatsächlich als „Zeichen des
Heils“ (GS 43) verstehen – noch dazu, wenn (inter-)kulturelle Zerreiß-
proben quer durch die kirchliche Gemeinschaft gehen und diverse Skan-
dale, Missstände und schwere Krisen innerhalb der Kirche die Rede vom
„Sakra ment“ und „Heilszeichen“ diskreditieren? Die folgenden Überle-
gungen versuchen nicht, theologische Positionen und Metaphern aus der
Konzilszeit (vgl. Tück 2013) als unmittelbare ‚Lösung‘ für jene Probleme
anzubieten, die aus nationalistischen Spaltungen und identitären Konflik-
ten der Gegenwart erwachsen. Es geht vielmehr darum, (1) die bleibende
Aktualität eines bestimmten Motivs der konziliaren Ekklesiologie – näm-
lich den Bezug auf die „gesamte Menschheitsfamilie“ – aufzuweisen und
von daher (2) den interkulturellen als auch (3) kenotischen Charakter von
‚Weltkirche‘ zu verdeutlichen. Weltkirche – so die These dieses Beitrags –
ist nicht bloß eine internationale Organisation, sondern eine grenzüber-
schreitende Gemeinschaft, die sich mit der gesamten Menschheit auf eine
einzigartige Weise verbunden weiß.
1. Der Bezug auf die gesamte Menschheit als
Charakteristikum kirchlicher Sendung
Nicht der Bezug auf alle Menschen ist neu an der Ekklesiologie von Lumen
gentium und Gaudium et spes; die Kirche sah sich immer schon ‚zu den Völ-
kern‘ gesandt und verstand sich nicht als ethnische oder lokal begrenzte
Gruppe. Neu ist (oder besser gesagt: neu entdeckt die Kirche eine uralte
biblische Wahrheit wieder), dass sie sich selbst von dieser Sendung in An-
spruch genommen weiß. Die Kirche ist nicht das souveräne Subjekt einer
Ausbreitungsstrategie, sondern Empfängerin einer „Heilsbotschaft […], die
allen vorzulegen ist“ (GS 1); sie wird von der Dynamik und verwandelnden
Kraft dieser Botschaft selbst in Dienst genommen. Lumen gentium 1 bringt
diese ‚responsive Universalität‘ mit der Metaphorik des ‚Sakraments‘ zum
Ausdruck: Das „Licht“, das von der Kirche ausgeht und „alle Menschen
erleuchtet“, stammt nicht von ihr selbst, sondern von Christus, der „das
Licht der Völker ist“. Von daher tritt die Kirche, wie dies in der Theologie
mancher Kirchenväter formuliert wurde, als ‚Mond‘ – im wahrsten Sinn
des Wortes – in Erscheinung. Nicht sie selbst ist die Lichtquelle, sie reflek-
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 194
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven