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Franz Gmainer-Pranzl | â... mit dem menschengeschlecht und seiner Geschichte wirklich innigst verbunden ...â
Eine Kirche, die selbst jene nationalistischen ZĂŒge und identitĂ€ren PrĂ€gun-
gen aufweisen wĂŒrde, von denen die gegenwĂ€rtige Welt gekennzeichnet
ist, könnte nicht als Zeichen des Heils fĂŒr die Menschen wirken; eine Glau-
bensgemeinschaft, die den von RaĂșl Fornet-Betancourt kritisierten Globa-
lismus nur kopieren wĂŒrde, wĂ€re keine Kirche âaus allen Völkernâ (LG 7),
sondern ein global agierender Konzern, dessen Zentrale eine âLeitkulturâ
fĂŒr alle Filialen weltweit ausgibt. Eine Welt-Kirche hingegen, die das Licht
des Evangeliums in einer zerrissenen Welt zum Leuchten bringen soll,
zeichnet sich durch eine Form von UniversalitÀt aus, die Robert Schreiter
in seinen Ăberlegungen zu einer âneuen KatholizitĂ€tâ als âeinschlieĂende
Ganzheit und GlaubensfĂŒlle entlang von interkulturellem Austausch und
interkultureller Kommunikationâ (Schreiter 1997, 225) kennzeichnet bzw.
Felix Wilfred als âumgekehrte KatholizitĂ€tâ bezeichnet, als âProzess des
Universal-Werdens durch Empfangen und durch Lernen von Anderenâ
(Wilfred 2011, 100). Die UniversalitÀt einer Welt-Kirche ist nicht zu trennen
von einem anspruchsvollen und vielfÀltigen Lern- und Kommunikations-
prozess, der Menschen verschiedener Herkunft, PrÀgung und Zugehörig-
keit verbindet; âKatholizitĂ€tâ lĂ€sst sich von daher, wie dies Anja Middel-
beck-Varwick auf den Punkt brachte, als âalternative Globalisierungsthe-
orieâ (Middelbeck-Varwick 2016, 168) bezeichnen, weil sie die Vielfalt und
WidersprĂŒchlichkeit dieser Welt weder in das Schema einer Denk- und Le-
bensform âinte
grierenâ noch der kompetitiven Arena des âRechts des StĂ€r-
kerenâ ĂŒberlassen will, sondern von der Vision der einen Menschheit her als
AnstoĂ zu einem globalen Dialog bzw. Polylog7 begreift.
Kirche, âherausgerufenâ (ek-klesia) aus allen Völkern, versteht sich dem-
nach nicht bloĂ als internationale Organisation, sondern als intensive Er-
fahrungs- und Lerngemeinschaft, die aus der Vision der einen Menschheit
lebt â auch wenn sie diese immer nur fragmentarisch realisieren kann. Aber
bereits in diesem Fragment spiegelt sich die Möglichkeit einer Einheit der
Menschheitsfamilie, die fĂŒr das Zweite Vatikanische Konzil eine vorran-
gige Option darstellte. Eine Welt-Kirche kann und darf sich dieser Option
nicht entziehen; sie bleibt, auch wenn sie âals kleine Herde erscheint, den-
noch fĂŒr das ganze Menschengeschlecht die stĂ€rkste Keimzelle der Einheit,
der Hoffnung und des Heilsâ (LG 9).
Kirche ist âherausgerufenâ (ek-klesia) aus allen Völkern und
versteht sich als eine intensive Erfahrungs- und Lerngemeinschaft.
7 Der Begriff âPolylogâ, der in sei-
ner philosophischen Bedeutung vor
allem vom österreichischen Philoso-
phen Franz Martin Wimmer geprÀgt
wurde, meint einen vielseitigen Ver-
stÀndigungsprozess, der nicht nur
von zwei Dialogpartnern betrieben
wird, die sich von ihrer Position her
in ein GesprÀch mit dem Anderen
einlassen, sondern ein GesprÀch
der âVielenâ, das die einzelnen Ge-
sprÀchsteilnehmer/innen in eine
tendenziell vollkommen offene und
von daher auch âverunsicherndeâ
Auseinandersetzung verwickelt â
entsprechend der unverfĂŒgbaren
PluralitÀt der gegenwÀrtigen Gesell-
schaft. (Vgl. Wimmer 2004, 66â73)
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 194
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven