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Richard Sturn | Generationengerechtigkeit, Generationenvertrag und Entsolidarisierung
Fazit
In der Möglichkeit der Gewinnung eines menschheitlichen Horizonts
liegt das Kairos der großen Transformation, welche unsere Gesellschaften
durchleben – aber auch deren ambivalenten politischen Konsequenzen.
Es ist kein Zufall, dass sowohl marktlibertäre Ultra-IndividualistInnen
als auch identitätspolitische KollektivistInnen (politische Erben Joseph
de Maistres, die heute mitunter mit den Ultra-Individualisten wundersa-
me Amalgame in politicis bilden) vom Klimawandel nichts wissen wollen.
De Maistre (1796/1991, 60), dem alles suspekt war, was über traditionale
Gemeinschaften und Hierarchien hinausweist, hatte bekannt:
„Nun aber gibt es auf Erden keinen Menschen schlechthin. Ich habe im
Laufe meines Lebens Franzosen, Italiener, Russen usw. gesehen. Dank
Montesquieu weiß ich sogar, daß man Perser sein kann. Einen Men-
schen aber erkläre ich, nie in meinem Leben gesehen zu haben, er müßte
denn ohne mein Wissen vorhanden sein.“
Dies alles konnten konterrevolutionäre Verächter der Aufklärung wie de
Maistre mit einer gewissen Überzeugungskraft vortragen: Auch heute
entfalten entsprechende Narrative wieder eine beachtliche Publikums-
wirksamkeit, wie man anhand der Ansätze zu einer Dekonstruktion der
Menschenrechte sieht. Die Suche nach institutionellen Antworten auf den
Klimawandel entzieht solchen partikularistischen Narrativen indes den
Boden (vgl. weiterführend Sturn 2011a). Auf einer politisch relevanten Ebe-
ne zwingt sie dazu, von der Menschheit und „vom Menschen“ zu spre-
chen,
– und sie legt normative Konzeptionen nahe, die im Hinblick auf den
Ausgleich von Interessen zwischen den Generationen in übergreifenden
sozialen Kontexten nicht auf eine Weise steril sind, wie dies für rein indivi-
dualistische Ansätze zutrifft.
Solidarische Alterssicherung und Umlageverfahren
Im deutschsprachigen Raum ist der Begriff Generationenvertrag unauf-
löslich mit dem Werk des katholischen Wirtschaftswissenschaftlers und
Sozialpolitikers Wilfrid Schreibers (vgl. Schmähl 2011) verknüpft. Der Ge-
nerationenvertrag gemäß Schreiber (1955) beruhte auf zwei theoretischen
Argumenten, die beide (durchaus auch im Sinne des eben Ausgeführten)
auf Grenzen des Individualismus weisen.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 222
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven