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Richard Sturn | Generationengerechtigkeit, Generationenvertrag und Entsolidarisierung
Der eher ökonomische Teil der Argumentation Schreibers versucht, der
Perspektive einer auf großer Skala anvisierten kapitalgedeckten Alters-
sicherung so etwas wie einen kompositorischen Fehlschluss nachzu-
weisen. Schreiber hielt die Aufzehrung einer kapitalgedeckten Rücklage
im Alter für etwas, was für einen hinreichend vermögenden Privatmann
durchaus realisierbar wäre, wohingegen in einer dynamischen, generatio-
nenübergreifenden Gesamtwirtschaft die Ausgaben für die Lebenshaltung
Nicht-Erwerbstätiger letztlich immer aus bestimmten laufenden Einnah-
men finanziert werden müssen. Realwirtschaftlich gesehen ist es nicht zu
umgehen, dass ein Teil der in einer Periode zur Verfügung stehenden Res-
sourcen für die Lebenshaltung Nicht-Erwerbstätiger bzw. -fähiger abge-
zweigt wird.
Die Verzinsung bzw. Aufzehrung eines angesparten Kapitals ist nur einer
der Verteilungsmechanismen, die dafür in Frage kommen. Gemäß Schrei-
ber (1955) und neueren Befunden (vgl. etwa Orszag/Stiglitz 1999) ist dieser
vom Kapitalmarkt abhängige Mechanismus gesamtwirtschaftlich gesehen
nicht besonders vorteilhaft und insbesondere auch nicht Voraussetzung
für eine angemessene gesamtwirtschaftliche Kapitalbildung bzw. Investi-
tionsquote. Aus einer solchen Kritik der kapitalgedeckten Alterssicherung
(in den 1950er-Jahren einleuchtend nicht zuletzt aus zeitbedingter Präsenz
der Auswirkungen von Krieg und Inflation, welche zu einer Entwertung ge-
rade zu Vorsorgezwecken angelegter Kapitalien führte) ließ sich eine Al-
terssicherung auf Basis des Umlageverfahrens motivieren, wie wir es heute
kennen. Dieses Umlageverfahren ist primär als eine gesamtwirtschaftlich
stabilisierende und gleichzeitig solidarische Alternative zur Altersvorsorge
über den Kapitalmarkt zu sehen, die für Geringverdiener ohnedies Chimäre
bleiben wird. Wäre die kapitalistische Marktwirtschaft weniger dynamisch
und instabil (also so statisch und stabil wie im Lehrbuch ökonomischer
Grundkurse), dann wären die Argumente für das solidarische Umlagever-
fahren deutlich schwächer.
Schreiber schwebte aber noch ein weiteres theoretisches Standbein für das
Umlageverfahren vor, das eher historisch-soziologisch orientiert war. Auf
Basis von Überlegungen der katholischen Soziallehre ging er von der fa-
milialen Solidargemeinschaft der vorindustriellen Gesellschaft aus: Eltern
ziehen die Kinder groß und erwerben dadurch den impliziten Anspruch, in
Letztlich müssen die Ausgaben für die Lebenshaltung Nicht-Erwerbstätiger
immer aus bestimmten laufenden Einnahmen finanziert werden.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 222
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven