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Richard Sturn | Generationengerechtigkeit, Generationenvertrag und Entsolidarisierung
Hagen Krämer (2019) auf Basis kapitaltheoretischer Überlegungen, dass
in einer Welt mit vielen „alternden“ Gesellschaften ohne Umlageverfah-
ren die individuellen Spar- bzw. Vermögenswünsche derart groß sind, dass
ein Anlagenotstand entstünde (bzw. sich verschärfen würde), dem aus
Gleichgewichtsgründen mit erhöhter Staatsverschuldung begegnet wer-
den mĂĽsste. Denn SparwĂĽnsche bzw. entsprechende Veranlagungen gehen
ins Leere, wenn ihnen keine Investitionen gegenĂĽberstehen.
Ich will mit der Skizzierung dieser Aspekte aber nur andeuten, dass eine
umlagefinanzierte Alters(ver)sicherung ökonomisch keineswegs abstrus
ist. Eine umfassende Abwägung der Vor- und Nachteile kapitalgedeckter
und umlagefinanzierter Sicherung ist ebenso wenig Gegenstand dieses
Essays wie mögliche Reaktionen beider Systeme auf demographische Än-
derungen, Kriterien der Optimierung beider Systeme (denn beide Systeme
können in sich ein fehlerhaftes Design haben und/oder unter mangelhafter
Governance leiden) oder eine Abschätzung des allenfalls vorzugswürdigen
Mix zwischen den beiden.
Angemerkt sei nur, dass die Vorstellung, das Kapitaldeckungsverfahren sei
von demographischen Änderungen nicht betroffen, unzutreffend ist (vgl.
von Weizsäcker/Krämer 2019). Dies trifft nicht einmal für die damit ver-
bundenen politischen Legitimationsprobleme zu. Zwar erspart man sich
im Kapitaldeckungsverfahren die politisch schmerzhaften und schwieri-
gen Anpassungen der Parameter bei demographischen Änderungen, die ja
fĂĽr alle klar sichtbar politische Entscheidungen sind, auch wenn gewisse
Sachzwänge dabei eine Rolle spielen. Ein System mit kapitalgedeckter Al-
tersvorsorge, in dem sich mittelfristig ein Anlagenotstand (sprich: gerin-
ge/fehlende Erträge der privaten Altersvorsorge-Produkte) breitmacht,
wird aber – vielleicht zeitversetzt – ebenfalls politische Legitimationspro-
bleme nach sich ziehen, weil das Argument, dieser Anlagenotstand sei eben
Ergebnis des Waltens der Marktkräfte, auf Dauer kaum ziehen wird – selbst
wenn es auf einer bestimmten Ebene richtig ist.
Dies alles ist fĂĽr die konkrete politische Ausgestaltung der Alterssicherung
von groĂźem Interesse, aber nicht im Fokus der folgenden Argumentation.
Der Fokus dieser Argumentation ist vielmehr die Demonstration, dass ein
funktionierendes Umlageverfahren letztlich ein Komplex aus einer Anzahl
unterschiedlicher Verteilungsinteressen ist. Seine Stabilität und Akzeptanz
Ein funktionierendes Umlageverfahren ist ein Komplex
aus einer Anzahl unterschiedlicher Verteilungsinteressen.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 222
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven