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Richard Sturn | Generationengerechtigkeit, Generationenvertrag und Entsolidarisierung
hängen damit zusammen, dass eine akzeptable Balance zwischen diesen
Verteilungsinteressen hergestellt wird – vor allem aber davon, dass dabei
der Aspekt der Alterssicherung glaubwürdig im Vordergrund bleibt.
Angenommen nun, es bestünde ein aus den skizzierten Gründen
ökonomisch einigermaßen sinnvolles, balanciertes und auch zweckmäßig
organisiertes Umlageverfahren. Ein solches Verfahren ist (auch wenn es
nicht beim Staat, sondern bei intermediären Sozialversicherungsträgern
angesiedelt ist) immer in dem Sinn politisch organisiert, als die jeweils
verteilungsrelevanten Parameter in politischen Aushandlungsprozessen
bestimmt werden. Diese Aushandlungsprozesse werden bestimmt durch
zwei Faktoren:
1. Interessenlagen mehr oder minder klar umrissener Gruppen und
2. unterschiedliche normative Prinzipien.
Im nächsten Abschnitt skizziere ich anhand von Privatisierungsstrategien
in der Alterssicherung, wie in einem solchen Szenario Solidarität erodieren
kann, indem dem ineinandergreifenden Interessenausgleich schrittweise
der Boden entzogen wird. Dadurch wird illustriert, dass der Generationen-
vertrag nur im Zusammenspiel mit einem übergreifenden Gesellschafts-
vertrag und nicht isoliert funktionieren kann – oder negativ formuliert,
wie Entsolidarisierung und das Ausspielen von Gruppen gegeneinander
und Polarisierungen in anderen Bereichen am Ende zum Kippen eines
„Generationenvertrags“ führen könnte, obwohl dieser auf lange Sicht im
Interesse fast aller ist. Es liegt also ein Szenario vor, in dem einem einzel-
nen „Spieler“ glaubhaft versichert werden kann, er könne sich verbessern,
wenn er aus dem System ausscheidet. Bricht indessen das ganze System
zusammen, sind (fast) alle schlechter gestellt.
Frontale Bekämpfung der umlagefinanzierten sozialen Sicherung ist in
einem solchen Szenario wohl offensichtlich zum Scheitern verurteilt und
würde politischen Selbstmord bedeuten – weil ja der totale Zusammen-
bruch des Systems als politsches Ziel in den Raum gestellt würde. Will
man eine (Teil-)Privatisierung der Alterssicherung politisch strategiefä-
hig machen, ist daher eine Art machiavellistischer Ansatz vonnöten, um
hinreichend Unterstützung für grundlegende institutionelle Veränderun-
gen zu schaffen. Diese Strategie muss darauf beruhen, einzelne Gruppen aus
Ein Generationenvertrag funktioniert nur im Zusammenspiel
mit einem übergreifenden Gesellschaftsvertrag.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 222
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven