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Jochen Ostheimer | Den eigenen Untergang erzählen, um ihn zu verhindern
infolge von Verbesserungen bei der Luftreinhaltung in Städten, d. h. bei der
Verringerung von (Fein-)Staub, eine Verstärkung des Temperaturanstiegs
befürchtet und deswegen über künstliche Wolkenbildung als eine Gegen-
maßnahme nachgedacht wurde (vgl. Crutzen 2006), waren die Forscher im
zweiten Fall zunächst davon ausgegangen, dass ein großflächiger Umstieg
von fossiler auf nukleare und damit emissionsfreie Stromerzeugung das
Problem lösen würde, und wurden vom Erfolg der Anti-AKW-Bewegung
überrascht. Entsprechend den angenommenen Ursache-Wirkungs-Ver-
kettungen ist die Bildsprache in beiden Ansätzen entgegengesetzt. Einmal
steht der Kölner Dom zur Hälfte im Wasser, das andere Mal versinkt Nord-
amerika unter einer gewaltigen Schneeschicht.3 Gleich hingegen ist, dass
in beiden Fällen Naturwissenschaftler die politische Bühne betreten und
öffentlichkeitswirksam und emotional auf drohende Probleme hinweisen
und die Erklärung der Kausalzusammenhänge mit moralischen Kategorien
wie Schuld und Verantwortung verbinden.4
Der Segen der Erderwärmung
Eine globale Erwärmung könnte auch positive Folgen haben – so eine wei-
tere Zukunftsversion.
Auch sie ist seit den 1970er-Jahren im Klimadiskurs vertreten. Die Vorzüge
wurden insbesondere im größeren Wasserdargebot in trockenen Gebieten
gesehen. Inbegriff des „Klimaparadieses“ ist eine blühende Sahara. In der
gegenwärtigen Variante werden die Ausweitung der landwirtschaftlichen
Nutzfläche in den nördlichen Regionen sowie ein zumindest in den Som-
mermonaten weitgehend eisfreies Polarmeer betont, was eine deutlich
kürzere Seepassage zwischen Europa und Ostasien sowie die Ausbeutung
großer Mengen an Bodenschätzen auf dem Meeresgrund ermöglicht. Der
primäre Nutznießer einer solchen Entwicklung wäre Russland. Die negati-
ven Folgen, unter denen Russland ebenfalls erheblich leiden könnte, etwa
Trockenheit im Landesinnern oder das Auftauen der Permafrostböden, in
dessen Folge Siedlungen und Verkehrswege im Schlamm zu versinken dro-
hen, wurden und werden angezweifelt oder im Vergleich zu den Vorteilen
relativiert.
Auch in diesem Diskurs verbinden sich wissenschaftliche Aussagen und
politische Motive. Ebenso wird wie in den beiden vorherigen Modellen die
3 Für das erste Beispiel vgl. das
Titelbild der Zeitschrift Der Spiegel
(1986/33), für das andere etwa Ro-
land Emerichs Kinohit The day after
tomorrow (2004), der allerdings
als Ursache nicht Aerosole nennt,
sondern das Kippen des Golfstroms
infolge von Schmelzwasser.
4 Eine andere Variante einer fros-
tigen Zukunft zeichnen die Überle-
gungen zu einem nuklearen Winter.
Klimaerzählung 3: Positive Veränderungen
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 222
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven